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Ein Ort zum Spielen und Lernen

Regula Spalinger im Gespräch mit Tatjana Vischnjakova

Das Kinder- und Jugendzentrum „Arche“ in Kostroma ist ein Ort, wo Kinder ihre Fähigkeiten entfalten können und soziales Miteinander lernen. Seit einigen Jahren nehmen auch behinderte Kinder am Kursprogramm der „Arche“ teil. Geplant ist zudem ein Familienclub für werdende Eltern. Über das Kursprogramm und den nach wie vor dringenden Umbau der „Arche“ hat Regula Spalinger mit Tatjana Vischnjakova, der stv. Leiterin der Administration des Jugendzentrums, gesprochen.

G2W: Das Weihnachtsfest ist immer ein besonders Ereignis im Kalender der „Arche“. Wie haben Sie es dieses Jahr gefeiert?
Tatjana Vischnjakova:
Zum orthodoxen Weihnachtsfest haben wir 1 200 Kinder in einen Konzertsaal im Stadtzentrum von Kostroma eingeladen. Zu dem Fest, das wir jährlich in Zusammenarbeit mit der Eparchie von Kostroma und Galitsch durchführen, laden wir Kinder aus bedürftigen Familien ein, deren Eltern ihren Kindern keine Eintrittskarte für 500 oder 1 000 Rubel (7 bzw. 15 CHF) zu einem der Jolka-Feste der Stadt oder von anderen Organisationen kaufen können. Das Fest besteht zunächst aus Tanz- und Theateraufführungen sowie einem kleinen Konzert. All das haben unsere Kinder und Jugendlichen seit dem Herbst einstudiert. Anschließend finden gemeinsam mit den traditionellen Gestalten Väterchen Frost und dem Schneemädchen Snegurotschka Spiele um den im Zentrum des Saals stehenden Weihnachtsbaum statt, und wir verteilen Geschenke an die Kinder. So wird das Weihnachtsfest zu einem unvergesslichen Erlebnis für die Kinder.

Wie wählen Sie die bedürftigen Kinder aus?
Wir arbeiten wir mit den Sozialarbeitern der orthodoxen Kirchgemeinden unserer Stadt zusammen, die die notleidenden Familien sehr gut kennen. Die kleinsten Gäste sind 3 bis 4 Jahre alt, die meisten jedoch im Kindergarten- oder Grundschulalter bis 9 Jahre. Die Leitung des Konzert- und Ausstellungssaals, in dem wir das Weihnachtsfest veranstalten, kommt uns mit einer ermäßigten oder sogar ganz erlassenen Miete entgegen. Eigentlich würden wir gerne zwei oder drei solcher Anlässe durchführen, denn es gibt so viel mehr bedürftige Kinder in Kostroma und Umgebung. Doch kann es sich der Vermieter nicht leisten, uns seinen Saal in der gefragtesten Jahreszeit mehrmals kostenlos zu überlassen.

Gibt es weitere Maßnahmen, wie Sie den bedürftigen Familien zu helfen versuchen?
Zu den bedürftigen Eltern jener Kinder, die die „Arche“ besuchen, zählen vor allem alleinerziehende Mütter oder Familien mit einem invaliden Elternteil. Diese notleidenden Menschen leiten wir an wohltätige Institutionen der Stadt weiter. Zum Glück ist vor wenigen Jahren im Stadtzentrum ein wohltätiges Hilfszentrum eröffnet worden, das Kleiderspenden, gebrauchte Möbel und weitere Utensilien an Bedürftige verteilt. Früher haben wir selbst in der Kirchgemeinde solche Gaben gesammelt. Doch ist die jetzige Hilfe effektiver, weil das Zentrum drei Tage die Woche geöffnet ist. Zudem gibt es eine Suppenküche im Stadtzentrum, die warme Mahlzeiten an bedürftige Menschen und Obdachlose ausgibt. Als wir vor ein, zwei Jahren mit einer Flüchtlingswelle aus der Ukraine konfrontiert waren, zeigte die Bevölkerung eine große Spendensolidarität. Wir haben Flüchtlingsfamilien in den verschiedensten Belangen geholfen und helfen ihnen noch. Früher war diese Hilfe auf das Nötigste im Haushalt gerichtet, z. B. erhielten wir Waschmaschinen als Spenden für die Familien. Oder wir unterstützten die Flüchtlinge bei der Wohnungssuche. Heute, da die Flüchtlinge etwas Stabilität und Arbeit gefunden haben, helfen wir ihnen mehr mit alltäglichen praktischen Ratschlägen oder beim Erwerb von Dokumenten.

Gibt es noch das Problem unbeaufsichtigter Kinder, das vor 20 Jahren mit zur Gründung der „Arche“ beigetragen hat?
Die erste Hälfte der 1990er Jahre war eine schlimme Zeit. Damals wurden reihenweise Betriebe geschlossen. Die Angestellten von staatlichen Einrichtungen oder Firmen (private gab es erst ganz wenige), aber auch Lehrer oder medizinisches Personal erhielten zum Teil länger als ein Jahr überhaupt keinen Lohn. Damals war das Problem von unbeaufsichtigten Kindern mit der ökonomischen Situation der Eltern verbunden, die ums Überleben kämpfen mussten und sich daher nicht um die Kinder kümmern konnten. Im Bahnhofsviertel, wo sich unser Jugendzentrum befindet, konnte mit vereinten Kräften unserer Pädagogen und einem vielfältigen Angebot an Freizeitkursen das Problem der herumlungernden Kinder behoben werden.

Doch heutzutage sind wir mit neuen Herausforderungen konfrontiert: Es gibt Drogenhändler, die versuchen eine möglichst große Anzahl Kinder und Jugendliche in die Abhängigkeit hineinzuziehen. Wir wurden gewarnt, dass synthetische Drogen wie Spice oder Räuchermischungen in Form von Karamellbonbons an Kinder verteilt werden. Von daher muss man die Kinder möglichst frühzeitig und gut aufklären.

Seit ein paar Jahren nehmen auch behinderte Kinder am Freizeitprogramm der „Arche“ teil. Wie ist es dazu gekommen?
Unser ursprüngliches Ziel war es, Kinder von der Straße zu holen und ihnen eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung zu ermöglichen. Wir wollten die in ihnen schlummernden Fähigkeiten wecken und ihnen innere und soziale Werte vermitteln. Später baten Behindertenheime unsere Geistlichen, doch auch ihre Einrichtungen zu besuchen. Da hatten wir die Idee, dass unsere Kinder für ihre behinderten Alterskameraden kleine Aufführungen gestalten und mit ihnen sprechen könnten. Anfangs besuchten unsere Pfadfindergruppen, später auch Kinder aus anderen Kursen die Behindertenheime. Dabei stellten wir fest, wie tief die Wirkung von solchen Begegnungen auf die Kinder ist: Solche, die beispielsweise in der Familie vorübergehende finanzielle Schwierigkeiten erlebten, merkten, wie schwer es andere Kinder haben können. Die Kinder lernen mit anderen mitzufühlen, lernen die Liebe zum Nächsten kennen. Dabei ist der Nutzen gegenseitig: die behinderten Kinder können sich mit Gleichaltrigen unterhalten und erleben eine Art Fest.

Heute gibt es in der „Arche“ sogar Kurse, in denen behinderte Kinder gemeinsam mit den übrigen Kindern unterrichtet werden. Das ist in Russland noch ganz neu.
Da wir über einen Kleinbus verfügen, hatten wir die Idee, dass wir behinderte Kinder auch zum neu eingeführten Formen mit Knetsand, dem Sandmalen und zur Gestaltung von einfachen Sandbildern in die „Arche“ einladen könnten. Die dabei angeregte Beweglichkeit der Finger sowie gleichzeitig der Ideenwelt und des Gehirns eignet sich ausgezeichnet für Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen. Alles geht etwas langsamer, schwieriger als für uns, aber die Behinderten erleben eine große Befriedigung. Pfarrfrau Olga hat sich speziell im Bereich Behindertenpädagogik weitergebildet, und wir bieten die gestalterischen Kurse nicht ohne Einwilligung der zuständigen Ärzte an. In diesem Bereich arbeiten wir seit 2016 auch mit der auf Behindertenpädagogik und Behindertenhilfe spezialisierten NGO „Wir Andern“ zusammen, was wir im nächsten Jahr fortsetzen möchten. Es ist schön zu sehen, dass unsere „normalen“ Kinder heute verständnisvoll auf Kinder mit Einschränkungen zugehen, nicht mehr mit Fingern auf sie zeigen. Sie verstehen, dass man auch mit diesen Kindern tolle Freundschaften pflegen kann. Und die Eltern der behinderten Kinder beginnen, diesen mehr zuzutrauen.

Gibt es im Jahr 2017 neue Kurse oder spezielle Freizeitprogramme?
Wie immer haben wir ein reichhaltiges Kursprogramm: verschiedene kreative Ateliers für die Kleinsten ab 3–4 Jahre, für Schulkinder und Jugendliche, aber auch für Mütter mit ihren Kindern. Der Chor probt, die Pfadfinder versammeln sich zweimal die Woche. Unser Programm ist also wieder sehr bunt und vielfältig. Daneben führen die Pfadfinder ihre Umweltaktionen zweimal im Jahr fort, im Frühling und im Herbst. Wenn der Schnee im Frühjahr taut, ist es besonders wichtig, das Naherholungsgebiet rund um den sog. Heiligen See, zwei Kilometer vom berühmten Ipatios-Kloster entfernt, vom Müll zu säubern. Unsere Jugendlichen haben festgestellt, dass es von den Ausflüglern weniger neuen Abfall gibt, seitdem sie mit der Aktion angefangen haben.

Im Schuljahr, das nach den Sommerferien beginnen wird, haben wir etwas Neues vor: Wir möchten einen Familienclub gründen. Alles, was wir tun, ist natürlich auf die Kinder ausgerichtet. Doch wir haben festgestellt, wie wichtig es ist, die Kreativität und den Kraft spendenden Austausch zwischen Eltern und Kindern innerhalb der Familie zu stärken. Zum Pilotprojekt „Familie“, das wir 2017 starten, gehören: Kurse für Schwangere, für Mütter mit Säuglingen und ein Club für junge Väter. Denn viele jüngere Eltern in Russland sind in unserer schnelllebigen Zeit von ihrer Aufgabe überfordert, haben zu wenig Gelegenheit ungezwungen Erfahrungen auszutauschen. Oder sie haben keine Möglichkeit, Fachleuten ungezwungen ihre Fragen zu stellen. Für den Club der werdenden Eltern werden wir Spezialisten wie Gynäkologinnen, Kinderärzte, Psychologinnen oder Sozialarbeiter als Gesprächspartner einladen. Doch sollen diese Anlässe nicht primär Vortragscharakter haben, sondern ein Raum des freundschaftlichen Miteinanders sein. Fachleute werden den Eltern die Babymassage zeigen und Ernährungsfragen mit ihnen besprechen. Außerdem gibt es eine Fülle einfacher Spiele, die die Eltern mit dem Säugling spielen können. Wir wollen den Eltern Freude und eine gesunde Selbstsicherheit in ihrer neuen Rolle vermitteln. Das tiefe Vertrauen, das so zwischen Kindern und Eltern wächst, ist nach wie vor die beste Prophylaxe, um das Abgleiten von Kindern oder Jugendlichen in die Drogen bzw. in kriminelle Kreise zu verhindern.

Wie geht es mit den Plänen betreffend Ersetzung der maroden Heizanlage von 1957 weiter? Auch die alten Fenster und Türen schließen nicht mehr richtig in den kalten Wintern.
Die finanzielle Planung und Realisierung dieses dringenden Vorhabens gestaltet sich sehr schwierig. Denn die ökonomische Situation ist sehr unsicher geworden. Was das Jahr 2017 bringt, ist schwer vorauszusagen. In der Vergangenheit waren die ortsansässigen Juwelierbetriebe in Kostroma unsere wichtigsten lokalen Spender. Sie erleben momentan aber schwierige wirtschaftliche Zeiten, und für Wohltätigkeit reichen ihre Mittel nicht aus. Wenn wir sie um Spenden anfragen, lehnen sie nicht rundweg ab, aber sie weisen darauf hin, dass sie uns zum gegenwärtigen Zeitpunkt leider nicht unterstützen können. Auch von einer größeren Baufirma, an die sich unser Leiter, Vater Gennadij Strelbizkij, um finanzielle Unterstützung gewandt hat, erhielten wir eine ähnliche Antwort. Trotz dieser Schwierigkeiten verlieren wir die Hoffnung nicht, dass wir die finanziellen Mittel für den Umbau des Jugendzentrums zusammenbekommen.

pdfRGOW 1/2017, S. 28-29

Bild: Arche