Russland: Erzpriester Vsevolod Tschaplin rechtfertigt den Reichtum der Kirche

In Russland haben Äußerungen des Vorsitzenden der Synodalabteilung für die Beziehungen der Russischen Orthodoxen Kirche zur Gesellschaft, Erzpriester Vsevolod Tschaplin, zu einer öffentlichen Debatte über den Umgang der Kirche mit Reichtum geführt.

Erzpriester Tschaplin hatte in einer Fernsehsendung am 11. April auf die Fragen von Jugendlichen, was vom Reichtum der Bischöfe und einiger Geistlicher zu halten sei, geantwortet, dass Geistliche das gesellschaftliche Prestige der Kirche widerspiegeln sollten. Es sei wichtig, dass die Bischöfe, die Kirchen und die kirchlichen Feiern nicht schlechter, sondern eher besser und schöner dastehen sollten als die Vertreter, Gebäude und Festakte der weltlichen Macht.

Diese Worte sorgten in der russischen Öffentlichkeit für Empörung. So erkundigte sich der orthodoxe Moderator der wöchentlichen Fernsehsendung «Kirche und Welt mit Metropolit Ilarion (Alfejev) », Ivan Semenov, in einem offenen Brief an Erzpriester Tschaplin, ob seine Worte unkorrekt wiedergegeben seien, oder ob er sich ungeschickt ausgedrückt habe. Daraufhin antwortete ihm der Geistliche ebenfalls in einem offenen Brief, der sich vor allem gegen die ewiggestrige «Angewohnheit der dissidenten Intellektuellen, alles Starke, Teure und Mächtige zu verachten», richtete. In dem Brief heißt es: «Das Ausschmücken von Kirchen sowie der Kleider der Geistlichen, und zwar auch derjenigen, die außerhalb der Gottesdienste getragen werden sowie der Gegenstände, die die Geistlichen im offiziellen Rahmen umgeben, habe nicht ich erfunden, sondern ist eine Tradition der Kirche». Seit jeher hätten praktisch alle Bischöfe der christlichen Kirchen und auch der Russischen Orthodoxen Kirche in Residenzen gelebt, die denen der Zaren und Fürsten in nichts nachgestanden hätten. Sogar «Jesus Christus selbst hat in Häusern gespeist, deren Besitzern – im Luxus schwelgenden Dieben und skrupellosen Steuertreibern – heutige Intellektuelle nicht die Hand reichen würden. » Als Beispiel führte Erzpriester Tschaplin den Zöllner Zachäus an, dessen Gastmahl wohl mit unsauberem Geld bezahlt worden sei: «Welch eine Enttäuschung für diejenigen, welche die Kirche nur dann lieben, wenn sie schwach ist, nicht am Fernsehen auftritt, deren Geistliche in zerlumpter Soutane herumlaufen und […] deren Gotteshäuser halb verfallen sind.» Das dürfe aber in einem Land, wo Millionen Menschen sich als orthodoxe Christen bezeichneten, nicht mehr die Norm darstellen. Die Kirche brauche moderne und solide Gebäude, schöne Gewänder, goldene Ikonostasen und materiellen Wohlstand, um auf Augenhöhe mit denjenigen zu sein, die ihre Machtposition aufgrund von Reichtum ausnützten, sei dies ein Vertreter des Vatikans oder ein Geschäftsmann.

Erzpriester Tschaplin hält es für puren Neid und geistig ungesund, wenn Christen endlos «Glanz und Elend» von Kleidern und Uhren erörterten. Der Patriarch fahre tatsächlich teure Autos und lebe in teuren Residenzen, aber er trage dieses Kreuz als «unvermeidlichen Bestandteil des Gehorsams eines Oberhauptes gegenüber seiner Kirche». Schließlich würden die Gläubigen es nicht verstehen, wenn ein Mufti oder ein Rabbiner ein prestigeträchtigeres Auto fahren würde als der Patriarch. Als Mönch und Mensch genüge dem Patriarchen jedoch seine kleine Klosterzelle in Moskau, in der er sich die meiste Zeit aufhalte.

Der Brief von Erzpriester Tschaplin sorgte sowohl in der russischen Öffentlichkeit als auch in der Kirche für Konsternation und Empörung. Erzpriester Alexander Borisov aus Moskau etwa meinte, zwar sei die Kirche zu Ehren gekommen und habe das Wohlwollen der Regierenden erlangt, gleichzeitig sei aber das Geld zum Götzen im Land geworden. Borisov betonte, dass in Russland viele Menschen in bitterer Armut, 15% der Bevölkerung gar unter dem Existenzminimum lebten. Tausende Arbeitssuchende würden in Moskau zu betrogenen und rechtlosen Obdachlosen. Christus sei stets auf der Seite der Armen gewesen, und deshalb müsse die Kirche über geistlichen, nicht materiellen Reichtum verfügen. Doch bisher komme es beispielsweise kaum vor, dass Klöster Obdachlose und Strafentlassene aufnehmen: «Uns wurde gesagt: ‹Bekleide den Nackten und gib dem Hungrigen zu essen› und nicht: ‹Werde so, wie die Reichen, dann wird alles gut und sie werden dich achten.›» Die Position Tschaplins stehe somit in einem krassen Gegensatz zum Evangelium.

www.portal-credo.ru, 15., 19. April 2011 – O.S.

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