Georgien: Ergebnislose Verhandlungen zwischen Georgischer und Armenischer Kirche

Das Oberhaupt der Armenischen Apostolischen Kirche, Katholikos Karekin II., hat vom 10. bis 15. Juni Georgien besucht. Im Mittelpunkt der Gespräche mit Patriarch Ilia II. und Präsident Michail Saakaschwili standen die Rechtslage der Armenischen Kirche in Georgien sowie umgekehrt der Georgischen Orthodoxen Kirche in Armenien, Fragen des Neubaus von Kirchen sowie umstrittene Besitzrechte an historischen Kirchen in beiden Ländern.

Die drei Punkte sind eng miteinander verknüpft: Die Armenische Kirche fordert seit Jahren ihre Anerkennung als juristische Person in Georgien, wodurch sie u. a. ihren Anspruch auf Restitution von Kirchen in Tbilissi sowie in der georgischen Südprovinz Samzche-Dschawachetien geltend zu machen hofft. Diese Kirchen hatte die Regierung Schewardnadse im Rahmen eines sog. Verfassungsabkommens 2002 der Georgischen Orthodoxen Kirche übergeben (s. vorangegangene Meldung). Die Georgische Orthodoxe Kirche wiederum erhebt Anspruch auf mehrere, inzwischen baufällige mittelalterliche Kirchen in der armenischen Nordprovinz Lori.

Patriarch Ilia II. schlug Katholikos Karekin II. die Bildung einer gemischten Expertenkommission vor, um zu einer gütlichen Einigung in den strittigen Fragen zu gelangen. Beide Seiten betonten zudem die enge Verbundenheit beider Völker, die trotz theologischer Differenzen der Kirchen durch zahlreiche geistliche, kulturelle und historische Bande miteinander verknüpft seien. Allerdings kam es nicht zur Unterzeichnung eines bereits im Vorfeld veröffentlichten Kommuniqués. Darin hatte es u. a. geheißen, dass sich «die Beziehungen zwischen uns weiter entwickeln und in eine neue Etappe treten: Darunter verstehen wir eine gleichwertige Festlegung des juristischen Status der Armenischen Apostolischen Kirche in Georgien und der Georgischen Orthodoxen Kirche in Armenien sowie die Öffnung armenischer Kirchen in Georgien und georgischer Kirchen in Armenien.» Ein Grund für die Nichtunterzeichnung wurde nicht genannt.

Patriarch Ilia II. erklärte jedoch nach dem Besuch Karekins II., dass die Armenische Kirche nur dann den Status einer juristischen Person erlangen könnte, wenn der georgischen Minderheit in Armenien das gleiche Recht zugestanden würde. Ferner werde man die armenischen Kirchen nur dann restaurieren, wenn georgische Kirchen in Armenien renoviert würden. – Katholikos Karekin II. widersprach: Den Status einer juristischen Person habe die kleine georgische Minderheit in Armenien nie angestrebt, zumal sich jede religiöse Minderheit im Land problemlos registrieren lassen könne. Die Restaurierung historischer Baudenkmäler sei Sache der Regierungen beider Länder, doch zuallererst müsse deren Ursprung festgelegt werden. Er sei mit dem Vorschlag von Ilia II., eine gemischte Expertenkommission zu bilden, nicht einverstanden: Zunächst müsse der genaue Untersuchungsgegenstand der Kommission festgelegt werden, erst dann könne man über deren Zusammensetzung entscheiden.

In seiner sonntäglichen Predigt in der Hl. Dreifaltigkeits-Kathedrale in Tbilissi am 19. Juni goss Patriarch Ilia II. neues Öl ins Feuer: Zwar werde man die Gespräche fortsetzen, doch die Georgische Orthodoxe Kirche werde «eine Einschränkung des georgischen Volkes und der Interessen Georgiens nicht zulassen. Karekin II. ist jung und es fehlt ihm offenbar an Erfahrung. Er ist klug, doch er will alles schnell machen, doch so funktioniert das nicht. Ich habe ihm gesagt, ich hätte 30 Jahre Erfahrung, und es sei daher am besten, Ruhe zu bewahren». Die Armenische Kirche wies diese Bemerkungen über ihr 59-jähriges Oberhaupt energisch zurück. Bischof Arschak Khatchatrian, Kanzler des Hohen Hauses in Etschmiatzin, erklärte: Angesichts der «Logik der Ethik der Beziehungen zwischen beiden Kirchenoberhäuptern sind derartige Bemerkungen deplatziert».

In Georgien leben heute gegen 250 000 Armenier, davon rund 83 000 in Tbilissi sowie weitere 100 000 in der Südprovinz Samzche-Dschawachetien, wo sie mit 54% die Bevölkerungsmehrheit bilden. Die Präsenz der Armenier in Georgien geht bis ins 16. Jahrhundert zurück. In Armenien, dessen Bevölkerung zu fast 98% aus ethnischen Armeniern besteht, leben ca. 1000 Georgier über das ganze Land verstreut.

www.rferl.org, 15.-21. Juni; www.religion.ng.ru, 15. Juni; www.religio.ru, 14., 16., 20. Juni; Kommersant, 7. Juli 2011 – O.S.

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