Russland: Skandal um Punkband in Christus-Erlöser-Kathedrale
Mehrere Bandmitglieder hatten sich im Vorfeld der russischen Präsidentschaftswahlen am 21. Februar vor der Ikonostase der Christus-Erlöser-Kathe- drale in Moskau aufgebaut und in einem Song lauthals die Gottesmutter angefleht, sie möge Putin aus Russland verjagen. Der Spuk dauerte kaum eine Minute, dann wurden zwei der fünf jungen Frauen ab- geführt, die übrigen entkamen. Kurze Zeit später tauchte auf YouTube ein Videoclip mit dem vollen Wortlaut des Songs auf: «Gottesmutter, verjage Putin! Der KGB- Chef lässt Protestierende einsperren / Der Geist der Freiheit ist im Himmel / Die Kir- che huldigt dem verfaulten Führer / Der Patriarch glaubt an Putin / Der Hund würde besser an Gott glauben / Gottesmutter verjage Putin!»
Bereits zuvor hatte die Gruppe mit meh- reren Anti-Putin-Konzerten auf sich auf- merksam gemacht. Drei Frauen von «Pussy Riot» wurden wegen der Aktion in der Christus-Erlöser-Kathedrale des groben Verstosses gegen die öffentliche Ordnung angeklagt. Ihnen drohen bis zu sieben Jahren Haft, eine Freilassung gegen Kaution lehnte das zuständige Gericht ab. In Russland wird mittlerweile in allen Medien und im Internet intensiv über den Vorfall debattiert.
Rechte politische Kreise sowie mehrere Geistliche, darunter Erzpriester Vsevolod Tschaplin, der Leiter der Synodalabteilung der Beziehungen zwischen Kirche und Gesellschaft, erklären, der «blasphemische Auftritt» sei «ein politisches extremistisches Statement», das gerichtlich geahndet werden müsse, da es «zum Hass auf die Orthodoxie» aufrufe. Entsprechend wurde am 18. März vermutlich auf Weisung der Kirchenleitung in mehreren Moskauer Kirchen ein Aufruf an die Staatsanwaltschaft verlesen, in dem eine ungenannte «Initiativgruppe» die Bestrafung der drei Frauen gemäß Art. 282 des russischen StGB aufgrund von «politischem Extremismus» fordert und Unterschriften sammelt. Patriarch Kirill äußerte sich am 24. März erstmals öffentlich zu dem Vorfall und bezeichnete ihn als «Verhöhnung eines Heiligtums». Wörtlich sagte er: «Der Teufel hat uns alle ausgelacht» und «Die Versuche orthodoxer Gläubiger, diese Blas- phemie zu rechtfertigen, sind unzulässig». «Pussy Riot» antwortete dem Patriarchen auf ihrem Blog: Ein «heißes und aufrichtiges Gebet» könne «keine Verhöhnung und Blasphemie sein». Folglich hätten sie «kein Heiligtum geschändet oder verhöhnt». Sie würden den Verdacht nicht los, der Patriarch verbinde in seinen Gedanken «das Heiligtum, das Sie für geschändet halten, untrennbar mit Putin», da er seine Rede über den Vorfall ausgerechnet mit einem Dank an Putin eingeleitet habe.
Andere orthodoxe Priester und Laien bezweifeln, ob der Vorfall überhaupt einen Strafbestand darstellt und halten ihn für eine karnevalistische Aktion, so etwa Erz- diakon Andrej Kurajev, Professor an der Moskauer Geistlichen Akademie. Sie rufen zu Besonnenheit auf und fordern Nachsicht von der Kirche: Die «Mädels» hätten unbedacht gehandelt; zwei von ihnen hätten kleine Kinder und müssten daher umgehend aus der Haft entlassen werden. Erzpriester Pavel Adelheim erklärte, die Ordnung in der Kirche hätten «seit jeher Propheten und Narren in Christo gestört, und Christus selbst hat Sünderinnen stets vergeben». Die Mädchen hätten «einen extravagant gekleideten politischen Protest in Form eines nicht-traditionellen Gebets formuliert». Priester Adelheim mahnte, im Volk wachse «der Protest gegen die Staatsmacht und die Kirchenelite, die miteinander verwoben» seien, und «es mit ihrem Reichtum und ihrer Gier, ihrer Heuchelei und Einbildung» reizten. Die Kirchenleitung müsse alles tun, damit die Mädchen freigelassen würden, sonst verliere sie ihren Einfluss auf die Menschen. Unterstützung erfahren die Punkfrauen auch von Bürgerrechtlern und der politischen Opposition: Mark Fejgin, Vorstandsmitglied der Bewegung «Solidarnost», hat die Vertretung einer Frau vor Gericht übernommen. Die Rechtsanwälte der beiden anderen Inhaftierten durften an einer von Boris Nemzov und Aleksej Navalnyj orga- nisierten Protestveranstaltung am 10. März reden, wobei einer der beiden die Frauen als «Polithäftlinge» bezeichnete.
www.rferl.org, 8. März; NZZ, 16. März; www.religion.ng.ru, 21. März; www.newsru.com, 24., 27. März; www.portal-credo.ru, 29. März; FAZ, 2. April 2012 – O.S.