Russland: Debatte um die Aufstellung von orthodoxen Bürgerwehren

Am 22. August haben mehrere nationalistische Organisationen angekündigt, zum Schutz der Gotteshäuser der Russischen Orthodoxen Kirche bewaffnete Gruppen, sog. orthodoxe druschinniki, aufstellen zu wollen, um die staatlichen Ordnungskräfte zu unterstützen. Ivan Otrakovskij, Vorsitzender des Vereins «Heiliges Russland», erläuterte der Zeitung Komersant, man habe sich zu diesem Schritt entschlossen, nachdem Aktivistinnen von Femen, einer feministischen Gruppe in der Ukraine, aus Solidarität mit Pussy Riot am 17. August in Kiew ein großes Holzkreuz umgesägt hätten. Daraufhin hätten mehrere orthodoxe Bürgerwehren umgehend den be- waffneten Wachdienst um Kirchen aufgenommen, da ihnen «die Heimat nicht egal» sei und sie «an himmelschreienden Tatsachen nicht einfach vorbeigehen» könnten. Keinesfalls werde man mit Gewalt gegen Übeltäter vorgehen, sondern sie der Polizei übergeben; man verfüge über Patrouillen von jeweils fünf bis sieben Männern, insgesamt etwa 100 Personen.

Erzpriester Vsevolod Tschaplin, Vorsit- zender der Abteilung des Moskauer Patriarchats für die Beziehungen zwischen Kirche und Gesellschaft, begrüßte diese Art Bürgerwehr: Orthodoxe könnten und müssten ihre Kirchen und Heiligtümer vor Vandalismus schützen, der in letzter Zeit zusehends um sich greife und die religi- ösen Gefühle der Gläubigen verletze. Die Freiwilligenwehren sollten jedoch friedlich vorgehen und Gewalt nur zur Selbstverteidigung einsetzen. Auch das von Patriarch Kirill gegründete und dem Patronat der Russischen Orthodoxen Kirche unterstehende «Allrussische Weltkonzil» billigte in einer am 24. August veröffentlichten Erklärung die Bürgerwehren: Da die Behörden der um sich greifenden Zerstörungswut nicht Herr würden,müssten ihr nun Bürger Einhalt gebieten. Die bewaffneten Verbände müssten nicht zwangsläufig konfessionell gebunden sein, orthodoxe Kirchen hätten neben dem religiösen auch kulturellen, historischen und architektonischen Wert. Ebenso schützenswert seien Kriegsdenkmäler und ähnliche Monumente. Kategorisch zurückzuweisen sei die Behauptung, freiwillige orthodoxe Milizhelfer würden religiösen Hass schüren und Zwietracht säen. Deren Anliegen sei völlig legal und werde «von der überwältigenden Mehrheit unserer Bürger mitgetragen».

Doch längst nicht jeder in Russland ist mit den Bürgerwehren einverstanden: Ljudmila Alexejeva, berühmte ehemalige Dissidentin und Leiterin der Moskauer Helsinki-Gruppe (s. in diesem Heft, S. 8-10), übte scharfe Kritik an dem Vorhaben und erklärte, solche Formationen seien schlicht verfassungswidrig. Lev Ponomarev, ebenfalls ein bekannter früherer Dissident und Leiter der Organisation «Für die Menschenrechte», legte beim Innenministerium und der Staats- anwaltschaft Protest ein: Es handle sich bei den orthodoxen freiwilligen Milizhelfern um nichts anderes als um eine gewaltbereite Gruppe, die Selbstjustiz, religiösen Hass und ethnische Konflikte geradezu heraufbeschwörten.

Gegen Bürgerwehren sprach sich auch der Leiter des Departements für Sicherheitsfragen der Stadt Moskau, Alexej Majorov, aus: Diese trieben einen Keil in die multikonfessionelle und multiethnische Bevölkerung der russischen Hauptstadt und seien der falsche Weg, um Kultusbauten vor Vandalismus zu schützen. Das Justizministerium gab unterdessen bekannt, bis auf weiteres könne «von gemeinsamen Patrouillen aus Rechtsschutzorganen und freiwilligen orthodoxen Milizhelfern in Moskau und Umgebung» keine Rede sein und stehe derzeit nicht zur Diskussion.

www.portal-credo.ru, 22.-24. August 2012 – O.S

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