Berichte von Kindern
In Russland steigt die Zahl der Kinder ohne ausreichende elterliche Betreuung noch immer von Jahr zu Jahr. Derzeit wird sie auf über 700000 geschätzt und liegt damit im Durchschnitt etwa fünfmal höher als im westlichen Europa. Das Jugendzentrum „Arche“ in Kostroma setzt sich für Kinder und Jugendliche ein und bietet ihnen ein geschütztes soziales Umfeld und sinnvolle Freizeitaktivitäten an. Berichte von Kindern und Lehrern vermitteln einen Einblick in die Arbeit des Jugendzentrums.
Franziska Rich
RGOW 4/2013, S. 28-29
Briefe von Kindern und Lehrern aus dem Jugendzentrum „Arche“
In Russland steigt die Zahl der Kinder ohne ausreichende elterliche Betreuung noch immer von Jahr zu Jahr. Derzeit wird sie auf über 700000 geschätzt und liegt damit im Durchschnitt etwa fünfmal höher als im westlichen Europa. Das Jugendzentrum „Arche“ in Kostroma setzt sich für Kinder und Jugendliche ein und bietet ihnen ein geschütztes soziales Umfeld und sinnvolle Freizeitaktivitäten an. Berichte von Kindern und Lehrern vermitteln einen Einblick in die Arbeit des Jugendzentrums.
Das orthodoxe Jugendzentrum „Arche“ in der alten russischen Stadt Kostroma hat sich zum Ziel gesetzt, Kindern und Jugendlichen aus bescheidenen sozialen Verhältnissen und gefährdeten Familien geistigen Halt und eine sinnvolle Freizeitbetätigung zu ermöglichen, um deren Abgleiten auf die Straße zu verhindern. Die außerschulische Einrichtung, in der erfahrene Pädagogen tätig sind, fühlt sich zudem verpflichtet, den Kindern das reiche kulturelle Erbe Russlands und ihrer Heimatregion im Besonderen näher zu bringen. Deshalb bietet die „Arche“ Kindern und Jugendlichen neben dem beliebten Sportunterricht eine ganze Reihe von kostenlosen Volkskunst- und anderen Kursen mit künstlerischer Ausrichtung an, die sie in ihrer Entwicklung fördern und ihnen neue Horizonte eröffnen.
Rund 500 Kinder und Jugendliche nehmen regemäßig und teilweise über Jahre hinweg am Kursprogramm der „Arche“ teil. Das Jugendzentrum hat auch eine lokale Pfadfinderbewegung mit über hundert Mitgliedern ins Leben gerufen, die durch ihre Sommer- und Winterlager nicht nur zu einem Gemeinschaftsgefühl unter den Kinder und Jugendlichen beiträgt, sondern sie auch zu sozial verantwortlichen Handeln anleiten will. Deshalb besuchen die Pfadfinder in regelmäßigen Abständen die Alten-, Behinderten- und Kinderheime in der Umgebung und fördern so den Kontakt zwischen Jung und Alt und Hilfsbereitschaft gegenüber Schwächeren.
Einblick in die vielfältige Tätigkeit des Jugendzentrums geben die Berichte von Kindern und Lehrern der „Arche“, von denen wir hier einige des letzten Jahres in Auszügen wiedergeben. Aus den Texten geht das Selbstverständnis der Kinder und Lehrer, ihrer Tätigkeit und eines Jugendzentrums hervor, dessen Türen jeden Tag für jedes interessierte Kind offen stehen.
„Feiertag der guten Werke“
„Am 15. Januar nach der Sonntagsliturgie gingen wir Pfadfinder des orthodoxen Jugendzentrums ‚Arche‘ auf die Jagd. Nur nicht erstaunt sein: Ja, auf die Jagd – nach guten Werken! Wir besuchten das städtische Rehabilitationszentrum und Kinderheim, um den Kleinen dort ein frohes Weihnachtsfest zu wünschen. Für die Pfadfinder sind diese Besuche bereits zur Tradition geworden. Den Waisen und Kindern in einer schwierigen Lebenssituation zu den Feiertagen gute Wünsche zu überbringen, ist für uns die Pflicht eines jeden orthodoxen Christen. Und die Heimkinder brauchen in erster Linie Aufmerksamkeit, menschliche Wärme und die Güte unserer Herzen. Die meisten dieser Kinder sind elternlos oder von den Eltern verlassen worden – sog. soziale Waisen. Viele von ihnen gleichen abgehetzten kleinen Tieren, die den Menschen nicht mehr vertrauen können, weil sie viel zu oft von ihnen nur Leid erfahren haben. Es ist deshalb nicht einfach, mit ihnen in ein Gespräch zu kommen und sie zum Mitspielen zu bringen. Aber irgendwann klappt es doch, und die Kinder fangen an, mit uns Pfadfindern fröhlich Kinderlieder zu singen, und summen sogar mit, wenn wir unsere eigenen Lieder anstimmen. Allen Kindern gefielen auch unsere Spiele und insbesondere das beliebteste – unser „Häuschen-Spiel“. Auch wenn wir diesmal mit leeren Händen zu den Kindern gehen mussten, weil wir keinen Gönner gefunden hatten, der uns für sie Bonbons und Lebkuchen gekauft hätte, so konnten wir ihnen doch Freude, Gemeinschaft und die Wärme unserer Herzen schenken. Eilt, gute Werke zu tun! Tut gute Werke, denn mit Worten alleine ist die Welt nicht zu retten!“
Palmsonntag im Altenheim
„Schon ist Palmsonntag angebrochen […], es beginnt die Karwoche und in wenigen Tagen ist Ostern. Auf dieses wichtige Ereignis müssen wir orthodoxe Christen uns gründlich vorbereiten. Dazu gehören das Gebet, der Besuch der täglichen Gottesdienste, die Beichte, Kommunion – und natürlich die guten Werke. So sind wir an diesem Tag, da wir den Einzug unseres Herrn in Jerusalem feiern, zum Besuch des Zavolzhsk-Altenheims auf der gegenüberliegenden Seite der Wolga aufgebrochen, um den Seniorinnen und Senioren dort zum hohen Feiertag zu gratulieren. Wir gingen nicht mit leeren Händen, sondern brachten Weidenzweige mit. Nach der Liturgie segnete Erzpriester Gennadij Strelbizkij, der Vorsteher der neben dem Jugendzentrum ˈ gelegenen Kirche zu Ehren des hl. Johannes von Kronstadt, zwei volle Eimer dieser Zweige. Wir packten die Zweige in unsere Rucksäcke und machten uns auf den Weg. Das Wetter war schrecklich. Es taute rundherum und wir mussten tiefe Wasserpfützen durchwaten. Der tauende Schnee brach unter unseren Füssen ein, aber all dies konnte uns nicht aufhalten. Wir teilten uns in kleine Gruppen auf und jede versuchte auf ihre Weise, zum Altenheim zu kommen.
Die Seniorinnen und Senioren erwarteten uns bereits an der Tür, denn wir hatten uns angemeldet und man hatte sich auf unseren Besuch vorbereitet. Es ist schön zu spüren, dass unsere Hilfe wirklich nötig ist. Sofort fingen wir an, die Weidenzweige zu verteilen. Wir packten unsere Rucksäcke aus, teilten uns in vier Gruppen auf und begannen unseren Gang durch die Zimmer. Das brauchte Zeit, denn 16 Pfadfinder auf 400 Bewohnerinnen und Bewohner sind nicht viel. Dennoch hatten wir in einer Stunde alle Weidenzweige verteilt und unsere Glückwünsche überbracht. Die Männer und Frauen machten uns ihrerseits Geschenke – einige Tafeln Schokolade und einen ganzen Berg Bonbons!
Etwas müde, aber zufrieden und glücklich kehrten wir in die ‚Arche‘ zurück. Es war ein gelungener Feiertag. Wir wünschen allen Pfadfindern, dass sie die Feste und anderen frohen Ereignisse in ihrem Leben genauso feiern mögen. Denn wir sollen unsere Devise ‚Allzeit bereit‘ nicht vergessen und immer bereit für gute Werke sein.“
Osterausstellung
„Besonders rührend feiern die Kinder das Osterfest. Nicht umsonst heißt es im Evangelium: ‚Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet‘ (Mt. 21,16). Und heute fand im Jugendzentrum ‚Arche‘ die Osterfeier statt, an der besonders die Kinder mit Begeisterung teilnahmen. Die Ausstellung von künstlerischen Arbeiten der Kinder zu Ostern wird bereits seit zehn Jahren durchgeführt. Nicht nur unsere Kinder, sondern Vorschulkinder anderer Schulen und außerschulischer Bildungseinrichtungen aus dem Gebiet von Kostroma können daran teilnehmen. Es gibt zum Schluss einen Wettbewerb, bei dem eine Jury die besten Arbeiten auszeichnet. In einer Zeremonie bekommen die Preisträgerinnen und Preisträger Diplome und kleine Andenken. Zum Schluss veranstalten die Pfadfinder vor dem Zentrum ein Lagerfeuer und führen fröhliche Sketchs auf.“
Konfitüren- und Seniorentag
„Am 30. August unternahmen wir Pfadfinderinnen einen Besuch im Zavolzhsk-Altenheim. Zusammen mit einigen Jungen des Jugendklubs ‚Philadelphia‘ wollten wir Seniorinnen und Senioren zum Geburtstag gratulieren. Ihr habt es gemerkt: Das ist natürlich wieder einmal unsere Aktion ‚Konfitüren-Tag‘. Wir hatten uns sorgfältig darauf vorbereitet, und mit geschmückten Konfitürengläsern fuhren wir ins Altenheim. In eineinhalb Stunden machten wir die Runde und suchten alle Geburtstagskinder des Monats auf. Die alten Leute freuten sich sehr, nicht allein über die Konfitüre, sondern noch mehr über die Aufmerksamkeit, die ihnen zuteilwurde.“
„Am 30. September besuchten wir, die Pfadfinder unserer Abteilung von Kostroma, das Zavolzhsk- Altenheim, um den dort lebenden Frauen und Männern zum Seniorentag zu gratulieren. Das Programm der für die zur Feier vorbereiteten Aufführung war sehr reichhaltig: von Musikstücken, Liedern und Gedichten bis hin zu Sketchen war alles dabei. Viele unserer Aktivisten traten auf, und der Saal war brechend voll. Die Feier begann mit einem schönen Klavierstück, dessen Klänge den ganzen Saal erfüllten. Weiter gefielen ein Gesangsquartett und die lustigen Sketchs der Pfadfinder, insbesondere die Parodie auf eine der mexikanischen Fernsehserien.
Während der ganzen Aufführung waren wir Pfadfinder bemüht, den Saal zum Mitmachen zu animieren. Wir sangen zusammen Volkslieder und führten Spiele auf. Berührt hat uns alle auch der Gedichtvortrag der kleinen Nina Efremova, die mit ihrer hellen, klangvollen Stimme Seniorinnen und Senioren zum Lächeln brachte. Zum Schluss wünschten wir den Bewohnerinnen und Bewohnern des Altenheims alle Gute und schenkten jedem von ihnen eine kleine Rose. Genau 100 Stück hatten wir mitgebracht. Alle waren glücklich und applaudierten mit voller Kraft. Ich denke, dass wir diesen Menschen einen wunderbaren Feiertag geschenkt haben und sie jetzt ungeduldig auf unseren nächsten Besuch warten“.
Horizonterweiterung
Für die Kinder und Jugendlichen der „Arche“ sind solche Erlebnisse sehr wichtig. Die meisten von ihnen haben von der Welt nicht viel mehr gesehen als ihre Stadt, da Ferien oder Fahrten an andere Orte mit Kosten verbunden sind, die ihre Eltern nicht tragen können. Die „Arche“ ist deshalb bemüht, den Horizont der Kinder mit Exkursionen wenigstens in die nähere Umgebung zu erweitern, wobei dem Jugendzentrum der von G2W zur Verfügung gestellte Kleinbus eine große Hilfe ist.
Im letzten Jahr hat das Jugendzentrum zudem eine überregionale Zusammenarbeit mit anderen Kirchgemeinden begonnen. So berichtete Pfarrfrau Tatjana Vischnjakova, Mitarbeiterin der ‚Arche‘, im Herbst vergangenen Jahres: „In diesem Jahr haben wir uns mit Gemeinden angefreundet, die zur Johannes-Familie gehören. Diese vereint Gemeinden, deren Kirchen wie die unsere zu Ehren des hl. Johannes von Kronstadt geweiht sind. Unser Jugendchor und die Kunstgruppe ‚Rodnik‘ konnten im Mai eine Reise nach St. Petersburg machen und dort an allrussischen Wettbewerben teilnehmen. Arbeiten unserer Kinder wurden an einer Ausstellung gezeigt und teilweise verkauft. Der Erlös ging als Spende nach Sura im Gebiet von Archangelsk zur Wiedererrichtung der Kirche in der Heimatstadt des hl. Johannes. Einige Male besuchten uns seither Jugendliche aus St. Petersburg und Ende August erwarten wir von dort den Chor der Johannes-Bruderschaft. Ansonsten geht unsere Arbeit ihren Gang. Derzeit schreiben sich die Kinder für die verschiedenen Kurse ein und wir führen im Haus Renovierungsarbeiten durch, damit die Kinder das neue Schuljahr in hellen, sauberen Klassenzimmern beginnen können.“
Sie können die Arbeit des Jugendzentrums „Arche“ mit einer Spende auf das Konto des Instituts G2W (IBAN CH22 0900 0000 8001 51780) mit dem Vermerk „Arche“ unterstützen.