RGOW 1/2022: In Bewegung. Migration und Remigration in Europa
Zeitweilig geschlossene Grenzen, eingeschränkte Reisemöglichkeiten und eine Rezession in den Industrienationen – die Covid-19-Pandemie hat massive Auswirkungen auf die internationale Migration. Während dauerhafte Niederlassungen und die temporäre Arbeitsmigration zurückgingen, sind Gesundheits- und Pflegekräfte sowie Saisonarbeiter vor allem in der Landwirtschaft weiterhin stark nachgefragt. Die Migrationslandschaft in Europa ist in Bewegung, die Migrationsrichtungen sind vielgestaltiger geworden: Zwar dominiert zahlenmäßig weiterhin die Arbeitsmigration von Ost nach West, doch lässt sich auch eine Remigration in die ost- und südosteuropäischen Herkunftsländer beobachten – zuletzt befeuert durch den Brexit und die Pandemie. Dies nehmen wir zum Anlass, um in dieser Ausgabe nach den sich wandelnden Migrationsdynamiken sowie nach den Gründen und Formen der Arbeitsmigration in Europa zu fragen.
Leseprobe:
Aija Lulle: Herausforderung Remigration – mehr als ein „brain gain“
Franziska Rich: In memoriam Elena Rydalevskaja
Am 23. Dezember 2021 ist Elena Rydalevskaja, die Leiterin des Fonds „Diakonia“ in St. Petersburg, nach einer kurzen, schweren Krebserkrankung im Alter von 59 Jahren verstorben. Die Leiterin einer der renommiertesten Drogenhilfsorganisationen in Russland war eine enge Projektpartnerin des Instituts G2W in der Entwicklungszusammenarbeit.
MIGRATION UND REMIGRATION
Justyna Salamońska: Polen – Vom Emigrationsland zum neuen Zielland für Arbeitsmigration
Nach dem EU-Beitritt Polens 2004 suchten viele Polinnen und Polen ihr Glück auf den neu zugänglichen westeuropäischen Arbeitsmärkten. Die Wirtschaftskrise von 2008 und der Brexit führten teilweise zu einer Remigration nach Polen, während sich dies in der Pandemie nicht im vergleichbaren Ausmaß beobachten lässt. Im letzten Jahrzehnt hat sich Polen gleichzeitig zu einem Zielland für Arbeitsmigration aus vorwiegend osteuropäischen Ländern entwickelt.
Ignacy Jóźwiak: Wachsende Nachfrage: Arbeitsmigration aus der Ukraine nach Polen
Die Arbeitsmigration aus der Ukraine nach Polen ist seit 2014 nochmals merklich angewachsen. Der polnische Arbeitsmarkt erlaubt vor allem temporäre Arbeitsverhältnisse, die oftmals prekäre Arbeitsbedingungen mit sich bringen. Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften setzen sich für die Arbeitnehmerrechte der Migrant:innen ein und versuchen diese bei der Integration in die polnische Gesellschaft zu unterstützen.
Agnieszka Satola: „All Inclusive“: Polnische Live-in-Pflegekräfte in Deutschland
Polnische Care-Migrantinnen übernehmen in Deutschland einen Großteil der 24-Stunden-Pflege von Pflegebedürftigen. Die verschiedenen Beschäftigungsmodelle weisen jedoch bewusst in Kauf genommene arbeitsrechtliche Verstöße auf. Die Live-in-Pflegekräfte sind oftmals prekären Arbeitsbedingungen ausgesetzt. Gleichzeitig lässt sich eine gesteigerte Handlungskompetenz der Care-Migrantinnen beobachten.
Martina Wilsch: Im Dauereinsatz: Care-Migration aus der Slowakei nach Österreich
Viele slowakische Frauen arbeiten im Zweiwochenrhythmus als 24-Stunden-Pflegekräfte in Österreich. Die Pendelmigration ins Nachbarland ist vor allem aufgrund der höheren Löhne und der geographischen Nähe attraktiv. Mit Blick auf die Familien hat die Pendelmigration ambivalente Folgen: einerseits verfestigt sie traditionelle Geschlechterrollen, andererseits führt sie zu einem neuen Selbstvertrauen der Frauen. Gesamtgesellschaftlich verstärkt sie das Pflegedefizit in der Slowakei.
Aija Lulle: Herausforderung Remigration – mehr als ein „brain gain“
Der Brexit hat in Kombination mit der Pandemie die Remigration nach Mittel- und Osteuropa verstärkt. Aufgrund von Entvölkerung und Überalterung versucht Lettland mit einer Diaspora-Politik Rückkehranreize zu schaffen, doch stellen soziale Probleme wie historische Stereotypen, Sprachbarrieren bei Schulkindern oder traditionelle Geschlechterbilder komplexe Hürden für eine dauerhafte Remigration dar.
Jelena Predojević-Despić, Vesna Lukić: Erzwungene Rückkehr: Corona und die Migration aus Serbien
Der Ausbruch der Coronavirus-Pandemie hat viele serbische Arbeitsmigrant:innen zur Rückkehr nach Serbien gezwungen, besonders betroffen waren temporär Beschäftigte und solche ohne regulären Aufenthaltsstatus. In Serbien fanden nur wenige Rückkehrer eine geregelte Arbeit, so dass die meisten so schnell wie möglich wieder im Ausland arbeiten möchten.
Eugenia Markova, Vanya Ivanova: Migration aus und nach Bulgarien angesichts von Brexit und Pandemie
Bulgarien zählt weltweit zu den Ländern mit der am schnellsten schrumpfenden Bevölkerung. Dazu trägt auch die Arbeitsmigration bei, die sich seit dem EU-Beitritt des Landes 2007 noch verstärkt hat. Während der Covid-19-Pandemie kam es zu einer Rückkehrbewegung, die jedoch vor allem gering qualifizierte Migranten umfasst und ein eher temporäres Phänomen darstellt.