Verschwiegen. Rebellisch. Glaubenstreu. Frauen in der Kirche in Polen

Elżbieta Adamiak

Neben den großen Gestalten der polnischen Kirchengeschichte wird die Rolle der Frauen im kirchlichen Leben häufig übersehen. Vom Reformwillen des Zweiten Vatikanums haben die Frauen kaum profitiert, obwohl sie unter den Gläubigen und an den theologischen Fakultäten die Mehrheit stellen. Diverse Frauenorganisationen sind im diakonischen und Bildungsbereich tätig und verschaffen sich auch zunehmend in aktuellen öffentlichen Debatten Gehör.

Das Bild der katholischen Kirche in Polen unterscheidet sich nicht grundsätzlich von dem der Weltkirche: es ist eine von geweihten Männer geleitete Frauenkirche. Der Alltag der kirchlichen Gebetspraxis, der karitativen Arbeit und des Religionsunterrichts in der Schule wird mehrheitlich von Frauen gelebt und geleistet. Höhere Lehrtätigkeiten und wichtige Entscheidungspositionen in den Machtstrukturen sind fast durchgängig Priestern vorbehalten. Was einen Unterschied zu säkularisierteren westlichen Gesellschaften ausmachen kann, ist der Rang, der dem Glauben in der Bevölkerung insgesamt und speziell bei Frauen zugeschrieben wird. Wenn wir vom „Glauben“ im polnischen Kontext reden, dann ist dies für die meisten der Katholizismus.

Kirchengeschichte als Frauengeschichte
Die Dominanz der römisch-katholischen Kirche erklärt sich aus der komplexen polnischen Geschichte. Im 10. Jahrhundert nimmt Polen das Christentum in der lateinischen Form an. Im 19. Jahrhundert, einer Zeit der wachsenden Bedeutung von Nationalstaaten, existiert Polen auf der Landkarte Europas nicht, denn Polen ist zwischen dem protestantischen Preußen, dem orthodoxen Russland und dem katholischen Österreich aufgeteilt. In dieser Situation kommt es zu zwei, bis heute prägenden Entwicklungen: Erstens der Mythos einer Verbindung zwischen der polnischen nationalen Identität und dem Katholizismus. Dies geschieht auch in Abgrenzung gegen die zwei stärksten feindlichen Nachbarn. Zweitens entwickelt sich eine gesellschaftliche Praxis, gegenüber den offiziellen Strukturen distanziert zu sein und dafür den informellen Einfluß höher zu schätzen. Daraus erwächst den Frauen eine besondere Rolle, da sie vor allem in informellen Kontexten wie Familienverband und Kindererziehung prägend tätig sind.
Die Theologin Monika Waluś erforscht diese Epoche unter Frauenperspektive. Sie beschäftigt sich mit der Geschichte polnischer Ordensgründerinnen seit dem 18. Jahrhundert, mit deren Theologie und ihrem Verständnis einer der christlichen Berufung entsprechenden Frauenrolle. Waluś ruft uns die in Archiven gesammelten, aber kaum bekannten Schriften dieser Frauen in Erinnerung. In ihrer Erforschung der Kirchengeschichte als Frauengeschichte verbindet sie zwei gesellschaftliche Bereiche bzw. wissenschaftliche Disziplinen, die sich selbst nicht als sehr nahe stehend erleben: Theologische Forschungen, die sich mit der Geschichte der Spiritualität befassen, und feministische Ansätze, die im wissenschaftlichen Diskurs meist unter Gender Studies zu finden sind. Beiden Forschungsrichtungen, konstatiert Waluś, „fehlt das Bewusstsein, dass ihre [gemeint sind die Ordensgründerinnen] Liebe zu Gott und das Bedürfnis, seinem Willen zu folgen, sie zu fast revolutionären Schritten geführt haben, die die Situation von Frauen nicht nur in Polen beeinflusst haben. […] Es ging ihnen um die Suche nach dem Willen Gottes und nicht um das Durchbrechen von Klischees, aber unterwegs stellte sich heraus, dass der Wille Gottes die [Geschlechter-] Klischees durchbricht. […] Sie forderten im Namen des Evangeliums, dass Rolle, Rechte und Identität von Frauen anerkannt werden müssen.“1
Waluś zeigt damit, dass es Frauen gewesen sind, die in den Zeiten nicht existierender staatlicher Strukturen in der Gestaltung des gemeinschaftlichen Lebens federführend waren. Ihr Engagement auf religiösem Gebiet und aus religiöser Motivation heraus brachte eine Veränderung der Frauenrollen mit sich. Monika Waluś steht mit ihrer Forschung in den Fußstapfen von Schwester Małgorzata Borkowska, einer Benediktinerin, die die Geschichte der Frauenorden bis zur Zeit der Teilung Polens bearbeitet hat.

Ausbleibende Reformen
Die Neuordnung Europas nach dem Ersten Weltkrieg bringt für Polen die ersehnte nationale Souveränität (s. RGOW 9/2018, S. 7–9). Doch dann führt der Zweite Weltkrieg nicht nur zu großen Verlusten in der Bevölkerung, sondern verändert auch die Staatsgrenzen beträchtlich und ordnet Polen dem sozialistischen Ostblock zu. Als unvohergesehene Folge dieser Veränderungen gehören nun über 90 % der Bevölkerung der katholischen Kirche an. Zwar wird die Kirche unter den neuen Machtkonstellationen aus prinzipiellen Gründen verfolgt (mehr oder weniger intensiv in verschiedenen Dekaden), sie gewinnt aber auch zunehmend an gesellschaftlicher und politischer Annerkennung wegen ihres Widerstand gegen diesen Staat. Frauen sind erneut im Hintergrund aktiv, an vorderster Linie treten mit Kardinal Stefan Wyszyński und Kardinal Karol Wojtyła, dem späteren Papst Johannes Paul II., zwei maßgebliche Führungsgestalten hervor.
In die Nachkriegszeit fällt auch das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965). Das Hauptanliegen des Konzils ist die Reform der Kirche. Dazu zählt auch die Anerkenung der tragenden Rolle der Gläubigen – in kirchlicher Sprache: der Laien. Die Mehrheit der engagierten Laien sind Frauen. Weltweit sollen jetzt die Reformen des Konzils eingeführt werden. In Polen, wie in anderen sozialistischen Ländern – mit der offiziell verordneten atheistischen Propaganda und entsprechenden Sicherheitsdiensten –, ist dies aber nur begrenzt möglich. Doch auch nach 1989 verbessert sich die Situation nicht, obwohl die politischen Barrieren aus dem Weg geräumt sind. Im Gegenteil: zumeist fehlt schon das Bewußtsein für ein Reformbedürfnis. Es entstehen sogar traditionalistische Gruppen, die bereits die wenigen eingeführten Reformen kritisieren und zum vorkonziliaren Status quo zurückkehren wollen.
Dieses Reformdefizit betrifft auch Frauen. Darauf hinzuweisen werden die Milieus der sog. offenen Kirche nicht müde. Aus diesen Kreisen stammt die erste Theologin, die sich ausführlich mit der Frauenfrage in der Kirche beschäftigte – Stanisława Grabska (1922–2008). Sie war die erste Polin, die in Theologie promovierte und zwar 1973 an der Katholischen Universität Louvain in Belgien. Grabska war nie als Theologin berufstätig, theologisch arbeitete sie ehrenamtlich mit Menschen und veröffentlichte als freie Publizistin zahlreiche Werke. Sie scheute sich nicht, ihre eigene kritische Meinung zu äußern, auch zur Frauenfrage. Noch in der Konzilszeit schrieb Grabska 1965: „Unabhängig davon, wie sich die Zusammenarbeit von Frauen und Männern in der Kirche gestalten wird, zweifellos muss sie in Richtung Gleichheit und Gleichwertigkeit schreiten und in Richtung der maximalen Wahlfreiheit der Lebenswege.“2
Jahre später kommentierte sie die Einstellung von Papst Johannes Paul II. Frauen gegenüber: „Ich träume davon, dass die Kirche weiter geht als der Papst in der Anerkennung der neuen Rolle von Frauen in der Kirche, und dass sie – die Kirche – über die Möglichkeit der niederen Weihen (wie es früher genannt wurde) und des Diakonats nachdenkt, auch über Frauen als Kommunionhelferinnen. Ich träume davon, dass die Kirche den kulturellen Wandel von der patriarchalen Familie zum Modell der partnerschaftlichen Familie akzeptiert. Aber darauf muss man noch lange warten und solche Veränderungen werden nicht mehr in meiner Lebenszeit stattfinden. Heute ist wohl nicht die ganze Kirche reif genug für solche Veränderungen.“3
Grabskas theologischer Weg zeigt die anfängliche Hoffnung, dass sich in der Umbruchzeit der Kirche auch die Rolle der Frauen ändern wird. Doch gegen Ende ihres Lebens verlor sie sogar die Hoffnung, dass die Kirche in Polen überhaupt Frauen zu den – in anderen Ortskirchen selbstverständlichen – Funktionen wie die der Kommunionhelferin zulässt.

Frauen in der kirchlichen Statistik
In diesem Kontext ist es hilfreich, einige Ergebnisse des Statistik-Institutes der Katholischen Kirche in Polen (Instytut Statystyki Kościoła Katolickiego w Polsce) hinzuzuziehen. 2015 veröffentlichte das Institut einen Bericht zur „Religiosität und Aktivität von Frauen in der katholischen Kirche in Polen“.4Seither gab es keinen weiteren Bericht zu diesem Themenkomplex. Laut einer begleitenden Beobachtung ist allerdings auch keine maßgebliche Veränderung oder gar ein Bruch zwischen damals und heute festzustellen. Die Arbeitsmethode des Berichts – Befragung der Untersuchten anhand vorgegebener Fragen – gibt einen Einblick darin, wie Frauen sich selbst darstellen. Diese Angaben werden mit vergleichbaren Daten einer Befragung von Männern zusammengestellt.
Hier seien nur einige Ergebnisse dieser Befragungen genannt. Den Glauben als einen wichtigen Wert in ihren Leben bezeichnen über 80 Prozent der polnischen Frauen und 68 Prozent der Männer als groß oder sehr groß. Nach der Häufigkeit der religiösen Praktiken gefragt, geben 56,3 Prozent Frauen an, regelmässig zu praktizieren und 24,8 % unregelmässig (bei Männern 37,3 und 28,5 Prozent). Frauen machen über zwei Drittel derer aus, die zur Kommunion gehen (67,6 Prozent). Der Bericht benennt detailiertere Aspekte des Wirkens von Frauen in der Kirche. Das Engagement von Männer ist eindeutig geringer.
Zwei Aspekte der Untersuchung will ich hervorheben, da sie für die gesellschaftliche und innerkirchliche Wahrnehmung signifikant sind. Auf die Frage, ob Abtreibung akzeptabel ist, geben 69,3 Prozent der Frauen und 59,1 Prozent der Männer an, dass diese nicht zulässig sei. Diese Frage beschäftigte die polnische Gesellschaft in den ersten Jahren nach 1989 enorm, da in dieser Zeit ein neues Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch verabschiedet wurde. Zugleicht kristallisierte sich – durch entsprechende Positionierung in dieser Debatte – eine säkuläre Frauenbewegung heraus, wie dies auch in anderen westlichen Gesellschaften der Fall war.
Andere Angaben des Berichts beziehen sich auf die Organisationen, die „einen typischen Frauencharakter“ haben. Leider werden die Kriterien dafür nicht angegeben, was eine solche Organisation abgesehen vom weiblichen Geschlecht ihrer Mitglieder von den anderen unterscheiden sollte. Interessant sind zwei der aufgelisteten Organisationen bzw. Gruppen, die eine eindeutige Mehrheit von Anhängerinnen haben. Die erste Gruppe bilden Mädchen, die sich aktiv an der Liturgie beteiligen. Da Mädchen und Frauen in den meisten Diözesen nicht als Ministrantinnen oder Lektorinnen zugelassen werden, werden sie auch nicht in Ministranten- und Lektorengruppen zugelassen. Im „Mädchen Mariendienst“ (Dziewczęca Służba Maryjna) – in anderen Gegenden „Bielanki“ genannt – nehmen Mädchen an den Gottesdiensten in besonderen Gewändern teil (charakterisiert durch eine kleine Pelerine). Sie singen Psalmen und bringen die Gaben zum Altar. Sie werfen bei den Fronleichnamsprozessionen feierlich die Blumen vor das Allerheiligste. Sie erfüllen auch andere Hilfsfunktionen in einer Gemeinde. Die zweite Gruppe bilden die sog. „Rosenkranzmütter“, d. h. Frauenkreise in der Gemeinde, deren Teilnehmerinnen reihum jeden Tag einen Rosenkranz beten.
Der Bericht zeichnet also ein Bild, in dem Frauen vorwiegend im Bereich des Betens mitwirken und zwar in solchen Formen, die die vorgegebenen Grenzen des liturgischen Lebens für Mädchen und Frauen nicht antasten. Mädchen erhalten zwar Funktionen und Aufgaben im Rahmen von Gottesdienst und kirchlichen Feiern – diese sind aber eher als schmückendes Beiwerk anzusehen und nicht als ernsthafte Einbindung ins liturgische Geschehen, wie dies beim Ministrantendienst gegeben ist.
Erstaunlicherweise wurden in diesem Bericht keine Untersuchungen zur Situation von Frauen an den theologischen Fakultäten gemacht. Aus wissenschaftlichen Untersuchungen ist aber bekannt, dass es eine enorme Diskrepanz zwischen Männern und Frauen im wissenschaftlichen Theologiebetrieb gibt, obwohl Frauen die Mehrheit der Theologiestudierenden ausmachen. Doch trotz leicht steigender Tendenz bilden Theologinnen mit ca. 10 Prozent aller zum Lehrkörper gehörender Personen eine erschreckend kleine Minderheit.

Katholische Frauenorganisationen
Die diakonische Verwirklichung der Kirche scheint beim Statistik-Institut der Katholischen Kirche in Polen ebenfalls nicht im Fokus des Interesses zu stehen, wenn es um das Engagement von Frauen geht. Hierzu will ich exemplarisch eine Frau hervorheben, die dafür mit ihrem Leben steht und in der Öffentlichkeit bekannt ist: Schwester Małgorzata Chmielewska. Sie gehört der Neuen Geistlichen Gemeinschaft Das Brot des Lebens an, die 1976 als Pain de Vie in Frankreich gegründet wurde. Der polnische Zweig dieser Gemeinschaft unter Leitung von Schwester Chmielewska lebt mit den Ärmsten: Langzeitarbeits- und Obdachlose, alleinstehende Mütter, die ohne ausreichende Mittel zum Überleben davon bedroht sind, ihre Kinder abgeben zu müssen. Die spirituelle Mitte der Gemeinschaft ist die Eucharistie, die Alltagspraxis wird nach einem sozialen Modell der Wirtschaft gestaltet. Es geht Schwester Chmielewska um eine Begleitung von Menschen in Notlagen, oft um ein Herauskommen aus Alkoholabhängigkeit. Einige selbst geführte kleine Werkstätten und Weiterbildungsmöglichkeiten sollen Menschen in Krisensituationen eine Zukunft eröffnen. Schwester Chmielewska ist medial für ihre spitze Zunge bekannt, aber auch dafür, dass sie selbst für einige Kinder rechtlich als Pflegemutter anerkannt ist, was auch von der ganzen Gemeinschaft mitgetragen wird.
Daneben gibt es aber auch noch andere kirchliche Frauenorganisationen: der Polnische Verband Katholischer Frauen, der Verein Forum Polnischer Frauen und der Verein Amicta Sole.5 Auch in ökumenischen Frauenorganisationen sind Katholikinnen aktiv: der polnische Zweig der YWCA, die auch in Polen vorhandene Arbeitsstruktur zur Vorbereitung und Feier des Internationalen Weltgebetstag der Frauen und die polnische Sektion der Europäischen Gesellschaft für theologische Forschung von Frauen.
Die ersten drei genannten Organisationen entstanden während der heißesten Phase der Debatte um den Schwangerschaftsabbruch. Als herausragende Anliegen katholischer Frauen und damit auch ihrer Organisationen betrachteten sie das Eintreten für das menschliche Leben von seinem Beginn an und die Sorge um die als traditionell verstandene Familie. Eine detailliertere Darstellung der Debatte ist hier aus Platzgründen nicht möglich, zusammenfassend lässt sich aber sagen, dass die grundsätzliche Ausrichtung der katholischen Frauenverbände in Opposition zu den säkularen, gesellschaftspolitisch agierenden Frauenorganisationen steht. Eine Ausnahme bildete der polnische Zweig der YWCA, in dem neben jungen auch ältere Frauen engagiert sind. Sie hatten sich gegen das neue restriktivere Abtreibungsgesetz positioniert.
Der katholische Verein Amicta Sole (gegründet 2008) und die polnische Sektion der Europäischen Gesellschaft für theologische Forschung von Frauen setzen sich für die Bildung von Frauen ein und sind entstanden, weil die Gründungsfrauen vor allem im Bildungsbereich, in Forschung und Wissenschaft beschäftigt sind – nicht selten aber in prekären Verhältnissen. Amicta Sole setzt sich ausdrücklich dafür ein, Katholikinnen und Katholiken die Lehre der Kirche zu Frauen sowie das Wissen über Frauen in der Kirchengeschichte näher zu bringen und die kirchenrechtlich anerkannten Dienste und Funktionen für Frauen auch in Polen umzusetzen, denn im Alltag des Gemeindelebens ist bis heute wenig davon realisiert ist. Dem Verein sind auch die ersten innerkirchlichen Bezeugungen von sexuellem Missbrauch an Ordensschwestern durch männliche Geistliche zu verdanken.
Um das intellektuelle Potential dieser Organisation zu beschreiben, seien hier einige Mitgliedsfrauen des Vereins erwähnt, die an öffentlichen Diskussionen zu religiösen Fragen teilnehmen: Mutter Jolanta Olech, langjährige Oberin der von Urszula Ledóchowska gegründeten Ursulinen und Vorsitzende des Rates der Oberinnen der Frauenorden in Polen; die Theologin Monika Waluś; die katholische Journalistin Alina Petrowa-Wasilewicz; die beiden Soziologinnen Maria Rogaczewska und Inka Słodkowska; die Arabistin Agata Nalborczyk-Skowron (s. RGOW 9/2011, S. 12–15). Mehrere Veröffentlichungen und Auftritte dieser und weiterer nicht namentlich erwähnter, kirchlich engagierter Frauen zeigen, dass ein gemeinsames Ziel eine Vielfalt von fachlichen und persönlichen Zugängen vereinen kann.
Stellvertretend für die jüngere Generation von Frauen in der Kirche sei hier Zuzanna Radzik, Theologin und Journalistin, genannt. Vernetzt mit neueren internationalen Organisationen wie Voices of Faithoder Catholic Women’s Councilbringt sie theologische Reflexion mit aktiver Teilnahme an Aktionen der (Frauen-)Bewegungen zusammen. In ihren Schriften greift sie die „klassischen“ feministisch-theologischen Themen wie Frauenkirche oder die Wiedergewinnung der Frauengeschichte auf. Sie beschreibt u. a. wie Frauen die Kirche von Anfang ihrer Geschichte an mitgestaltet haben. Diese Erinnerungspraxis an Frauen verbindet sie mit mutigen Auslegungen, die sich auf die heutigen kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklungen beziehen. Zur aktuellen Situation von Frauen in der Kirche befindet sie: „Es gibt kein selbstverständliches Forum für Frauen, in dem sie reden und gehört werden können. Wir bekommen manchmal das Recht, zu reden, aber erst nach einer entsprechenden Selektion, durchgeführt von Männern, die die Debatte managen. Die entsprechenden Frauen werden so ausgewählt, dass sie nichts sagen, was die Männer reizen könnte.“6 Die genannten weltweiten Bewegungen versteht sie als Aufbau solcher Foren, in denen Frauen frei reden, sich gegenseitig zuhören und damit ihren Stimmen breites Gehör verschaffen können. Diese Foren sind über soziale Netzwerke und digitale Medien global erreichbar.

Neue Debatten
Seit einigen Jahren – in Polen deutlich nach der Ratifitzierung der sog. Istanbul-Konvention, d. h. dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewaltim Jahr 2014, entzündet sich eine Anti-Gender-Kampagne. Die Konvention benutzt den Begriff „Gender“, d. h. eines sozial und kulturell verstandenen Geschlechts – in Unterscheidung vom biologischen Geschlecht. Von einigen kirchlich motivierten Gegnern, darunter Bischöfen wird ein solches Konzept als Infragestellung des Naturrechts und damit als eine Ideologie missverstanden und abgewertet.
Zweitens konzentriert sich die öffentliche Debatte in den letzten Jahren auf nicht-heteronormative Lebensformen. Als eine Konsequenz der oben genannten Anti-Gender-Argumentation verstanden, werden sie von einigen Mitgliedern der Polnischen Bischofskonferenz zu einer LGBT-Ideologie erklärt und verworfen (s. RGOW 9/2019, S. 4). Dies stößt allerdings nicht nur auf den Widerstand säkularer Organisationen, sondern auch von der christlichen, ökumenisch aufgestellten Gruppe „Glaube und Regenbogen“ (s. RGOW 8/2016, S. 20–22). Diese Gruppe hat u. a. eine Medienkampagne durchgeführt, die ein gutes Zusammenleben aller Menschen, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, durch die Abbildung des liturgischen Friedensgrußes in Verbindung mit den Farben der Regenbogen-Fahne versinnbildlichte. Diese Aktion, die eine christliche Haltung fern von Abgrenzung und Ausschluss der „Anderen“ propagierte, stieß in der polnischen Gesellschaft auf breite und wohlwollende Annahme.
Das dritte Thema, weltweit nicht neu, in Polen weit davon entfernt, von den Entscheidungsträgern der Kirche ernst genommen zu werden, sind die zahlreichen Taten von sexuellem Missbrauch begangen von Diakonen, Priestern, Ordensmännern und Bischöfen. Die Leidenserfahrungen, die die betroffenen Frauen und Männer oft erst nach vielen Jahren ins Wort bringen können, und die Aufdeckung der systematischen Vertuschung von Tätern und Taten durch Seilschaften innerhalb der katholischen Hierarchie verursachen eine Glaubwürdigkeitskrise der Amtskirche (s. RGOW 11/2019, S. 10–12).
Der Verlauf dieser drei grundsätzlichen Debatten wird das Antlitz der Kirche, vor allem auch der Amtskirche in der Zukunft bestimmen. Und hoffentlich wird es ein viel menschlicheres, ein weiblicheres Antlitz sein.

Anmerkungen
1)  Waluś, Monika: Cherchez la femme. À la recherche des inspiratrices de congrégations féminines sur les territoires polonais. In: Theologische Frauenforschung in Mittel-Ost-Europa. Jahrbuch der Europäischen Gesellschaft für theologische Forschung von Frauen 11 (2003), S. 161–184, hier S. 180. Vgl. auch Inspiratorki, liderki, założycielki. Aktywność przedstawicielek katolickich wspólnot i ruchów kobiecych w Polsce (1805–1963). Bd. 1 Leksykon biograficzny, Bd. 2 Antologia pism, hrsg. von Monika Waluś, Kazimierz Pek, Bearbeitung der Biogramme: Monika Waluś. Lublin 2013.
2)  Grabska, Stanisława: Kobiety w Kościele. In: Więź 8, 6 (1965), S. 51.
3)  Ciekawość nieba, ciekawość ziemi. Ze Stanisławą Grabską rozmawia Irena Stopierzyńska, Biblioteka „Więzi” [t. 122]. Warszawa 2000, S. 104.
4)  Instytut Statystyki Kościoła Katolickiego w Polsce, Religijność i aktywność kobiet w Kościele katolickim w Polsce: http://iskk.pl/images/stories/Instytut/dane/ISKK_Kobiety_Religijnosc_2015.pdf.
5)  Staśkiewicz, Joanna: Katholische Frauenbewegung in Polen? Zum Wandel der Geschlechterverhältnisse in der katholischen Kirche in Polen nach 1989. Bielefeld 2018.
6)  Radzik, Zuzann: Na wiele lat straciłyśny swoje prawo do Kościoła, https://deon.pl/wiara/wiara-i-spoleczenstwo/zuzanna-radzik-na-wiele-lat-stracilysmy-swoje-prawo-do-kosciola,509973.

Elżbieta Adamiak, Prof. Dr., Professorin für Fundamentaltheologie und Dogmatik am Institut für Katholische Theologie am Campus Landau der Universität Koblenz-Landau.

pdfRGOW 4/2020, S. 10-13

Aus RGOW 4/2020: Verändern oder Verdrängen. Frauen in den Kirchen