Weihnachtslektüre 2020
Zehn RGOW-Artikel aus den letzten zehn Jahren als Lektüre für die Weihnachtsferien
Jens Herlth: Russland als "Reich des Bösen" im polnischen Geschichtsdenken (2011)
Der Flugzeugabsturz von Smolensk am 10. April 2010, bei dem der polnische Präsident und andere hochrangige Persönlichkeiten ums Leben kamen, hat ein Schlaglicht auf das schwierige polnische-russische Verhältnis geworfen. Das Bild Russlands als Ursache alles Bösen ist im kulturhistorischen Gedächtnis Polens tief verwurzelt. Der Autor spürt in diesem Essay den literarischen Traditionen des dämonisierten Russland-Bildes nach.
Monica Rüthers: Juden in Osteuropa und "Ostjuden" in den Köpfen (2012)
Seit dem Spätmittelalter ließen sich zahlreiche Juden in Polen-Litauen nieder, da die polnischen Könige ihnen dort Freiräume gewährten. Das Gemeindeleben war durch eine enge Verwobenheit von Religion und alltag geprägt. Die jüdische Aufklärung im 19. Jahrhundert erschütterte die herkömmliche Lebensweise und führte zu neuen vielfältigen Identitätsentwürfen. Im 20. Jahrhundert wurde der «Ostjude» mehrfach neu «entdeckt» und unterschiedlich bewertet.
Christian Giordano: Multikulturelle Urbanität am Schwarzen Meer (2013)
Das Schwarze Meer stellte Jahrhunderte lang eines der Zentren des Weltgeschehens dar: als Endpunkt und Umschlagplatz der Güter der Seidenstraße nach Europa. Bis ins Mittelalter bestanden rege interurbane Kontakte zwischen den Städten des Schwarzen und des Mittelmeeres. Durch sozioökonomische, kulturelle und politische Veränderungen seit dem 15. Jahrhundert rückte die multikulturelle Region zu Unrecht in die Peripherie der westeuropäischen Aufmerksamkeit.
Viktor Stepanenko: Abschied von der postsowjetischen Politik in der Ukraine (2014)
Im Gegensatz zu der „Orangenen Revolution“ von 2004 ist die aktuelle ukrainische Protestbewegung hauptsächlich von zivilen Akteuren initiiert und vorangetrieben worden, die Parteipolitik und politischen Institutionen eher kritisch gegenüber stehen. Mit der Schaffung einer neuen Wertesphäre hat der Majdan versucht, sich von der postsowjetischen Politik abzunabeln. Aufgabe der neuen Regierung wird es sein, die Forderungen des Majdan umzusetzen, um so zu einem richtigen Neuanfang beizutragen.
Heike Karge: Virulente Vergangenheit. 20 Jahre nach dem Völkermord von Srebrenica (2015)
In Srebrenica ereignete sich im Juli 1995 das schlimmste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Bei dem Massaker nach der Einnahme der UN-Schutzzone kamen über 8 000 muslimische Jungen und Männer ums Leben. 20 Jahre nach dem Verbrechen, das UN-Gerichte als Völkermord klassifiziert haben, sind weiterhin viele Fragen offen. Noch immer konnten nicht alle Hinterbliebenen die sterblichen Überreste ihrer Angehörigen würdig bestatten, noch immer wird das Geschehen verdrängt und verleugnet, und noch immer sind nicht alle Verantwortlichkeiten beim Fall der Schutzzone geklärt.
Fabian Lüscher und Stefan Guth: Tschernobyl 1986 - ein ganz normaler Unfall? (2016)
In Tschernobyl ereignete sich der erste atomare Super-GAU. Dem Unfall lag eine verblüffende Häufung von Konstruktions-, Organisations- und Bedienungsfehlern zugrunde. Nach der Katastrophe rangierten die Interessen des Staatsschutzes bisweilen vor dem Bevölkerungsschutz. Über die gesundheitlichen Langzeitfolgen des Super-GAUs wird bis heute gestritten. Unstrittig ist allerdings, dass Tschernobyl ins kulturelle Gedächtnis der Menschheit eingegangen ist und bis heute die Debatten über die zivile Nutzung der Kernenergie prägt.
Mariya Y. Omelicheva: Die Instrumentalisierung des Islam in Zentralasien (2017)
Der staatlich anerkannte „traditionelle“ oder „offizielle“ Islam in Zentralasien dient einerseits der Stärkung nationaler Identität und andererseits der Legitimation der lokalen autoritären Regimes. Strukturelle und politische Missstände werden mit Verweis auf die „islamistische Gefahr“ erklärt. Die staatlichen Repressionen gegenüber dem „inoffiziellen“ Islam könnten allerdings kontraproduktiv wirken.
Frithjof Benjamin Schenk: Das Ende der Imperien und die Folgen für das östliche Europa (2018)
Der Erste Weltkrieg führte zum Ende der drei Imperien im östlichen Europa. An ihrer Stelle entstanden neue Nationalstaaten, die jedoch vielfach ebenso multiethnisch geprägt waren wie die untergegangenen Vielvölkerreiche. Die Pariser Vorortverträge beendeten keinesfalls die Kämpfe, sondern zwischen 1918 und 1921/22 kam es immer wieder zu Kriegen und bewaffneten Konflikten zwischen den Nachfolgestaaten.
Julija Nabereschnaja: Das Weltnaturerbe „Westkaukasus“ in Gefahr (2019)
Der Westkaukasus zählt zu den elf Stätten des russischen UNESCO-Weltkulturerbes. Mit den Olympischen Winterspielen 2014 im angrenzenden Sotschi begann jedoch eine rege Bautätigkeit, die das Kaukasus-Naturreservat zunehmend bedroht und die Biodiversität gefährdet. Gesetzesänderungen höhlen den Naturschutz aus und erlauben die Einrichtung von als „Biosphären-Polygonen“ getarnten Skikurorten innerhalb des Weltnaturerbes. Deshalb droht die unrühmliche Aufnahme des Gebiets in die Rote Liste des gefährdeten Welterbes.
Devin N. Naar: Thessaloniki – das „Jerusalem des Balkans“ (2020)
Besucht man heute Thessaloniki, stößt man nur vereinzelt auf Zeugnisse der jüdischen Vergangenheit der Stadt, obwohl sie bis zum Ersten Weltkrieg eine mehrheitlich jüdische Bevölkerung hatte. In den Nachkriegsjahrzehnten tat sich Thessaloniki schwer mit der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit, erst in jüngster Zeit wird die reiche jüdische Vergangenheit der Stadt wieder vermehrt thematisiert und an sie erinnert.