Skip to main content

Frankreich: Kritik am Sendschreiben der Rumänischen Orthodoxen Kirche

19. August 2010

Eine Gruppe von 28 namhaften Priestern und Laien aus mehreren orthodoxen Eparchien in Westeuropa hat am 11. April einen an die «Vereinigung orthodoxer Bischöfe in Frankreich» adressierten Aufruf «Zur Einheit und Würde der Orthodoxen Kirche» veröffentlicht.

Die Gruppe reagierte damit auf ein Sendschreiben der Hl. Synode der Rumänischen Orthodoxen Kirche an alle Auslandsrumänen. In dem Schreiben hatten die Bischöfe alle Auslandsrumänen, die anderen orthodoxen kirchlichen Jurisdikationen unterstehn, zur Rückkehr zum Patriarchat Bukarest aufgerufen (s. G2W 6/ 2010, S. 8). Bei allem Verständnis für die pastorale Sorge des Patriarchats Bukarest um die im Ausland lebenden rumänischen Gläubigen nehme man von dem Sendschreiben mit «großer Traurigkeit» Kenntnis.

Die Unterzeichner des Aufrufs bedauern zutiefst, dass laut dem Sendschreiben der rumänischen Bischöfe jeder Geistliche oder Gläubige der orthodoxen Diaspora seiner jeweiligen «nationalen » Kirche angehören muss: «Wir alle, die wir von den verschiedenen Migrationen des 20. Jahrhunderts abstammen oder westeuropäischen Ursprungs sind, haben die Orthodoxie von unseren Vätern als ‹Kirche Christi auf Erden› empfangen – eine Realität, die wichtiger ist als jede soziale, kulturelle oder nationale Beheimatung. Überall da, wo die Orthodoxe Kirche präsent ist, ist sie aufgerufen, sich in den örtlichen Kulturen zu verkörpern, denn indem sie ‹das neue Leben in Christus› ist, ist sie universal. Aber diese Universalität ist niemals abstrakt: Sie ist an jedem Ort, in jeder eucharistischen Gemeinschaft mit Händen zu greifen, in der sich alle Gläubigen in verschiedenartiger Einheit versammeln, die den gleichen orthodoxen Glauben teilen, den sie von den Aposteln empfangen und den [hl.] Vätern überliefert bekommen haben. Wir leben seit vier Generationen in Westeuropa unter Orthodoxen verschiedenen Ursprungs und wir haben begriffen, dass es uns geziemt, im brüderlichen Dialog mit den anderen Christen in einer Welt, die nach Gott hungert, gemeinsam Zeugnis von der Orthodoxie abzulegen. Seit fünfzig Jahren sucht die ‹Fraternité orthodoxe› [1960 in Frankreich gegründete Organisation für die in der Diaspora lebenden Orthodoxen] eine Versammlung aller Orthodoxen zu gründen – in eucharistischer Einheit und einer unserer Ekklesiologie entsprechenden kanonischen Struktur. Bei dieser handelt es sich um eine territoriale Ekklesiologie, bar jeder Form von ‹Nationalismus› und Konkurrenz zwischen den Diözesen und jeder Verleugnung von Kulturen, Sprachen oder Nationen. Ein wichtiger Vorstoß in dieser Hinsicht bedeutete die Gründung der ‹Versammlung orthodoxer Bischöfe in Frankreich› 1997.»

Die Bezugnahme der rumänischen Bischöfe auf das Erste Ökumenische Konzil von Nizäa (325) bewerten die Autoren des Aufrufs als «unzulässig, denn die Konzilsväter haben die Idee von Diözesen, die nach ethnischem Prinzip definiert wären, verworfen und sich, wie die Apostel, ausschließlich an das Territorialprinzip gehalten.»

Sorge bereitet den Autoren zudem, dass das Sendschreiben gerade in dem Moment, in dem sich die Gesamtheit aller orthodoxen Kirchen «im Rahmen des vorkonziliären Prozesses viel versprechende Gedanken zur Zukunft der Gemeinden der sog. ‹Diaspora›» mache (s. G2W 9/2009, S. 3), zu verstehen gebe, dass jeder orthodoxe Rumäne im Ausland selbstverständlich die «direkte » Kommunion mit der Rumänischen Orthodoxen Kirche vorziehen müsse. Es gebe aber «nur eine Kirche, die Kirche Christi, und wir alle kommunizieren an Seinem Leib und Seinem Blut. Die Schwesterkirchen der Rumänischen Orthodoxen Kirche, denen sich bestimmte rumänische Gläubige im Westen […] angeschlossen haben – teilen sie nicht die gleiche Fülle des orthodoxen Glaubens? Sind sie nicht genau die gleiche Kirche Christi? Nach welchem Kriterium sollte man die de facto multiethnischen orthodoxen Gemeinden im Westen aufteilen, indem man jeden Ausländer in seine ursprüngliche Kirche zurückschickt? Derartige Initiativen destabilisieren unsere Gemeinden […]; sie verursachen Leiden, Spannungen und gegenseitige nationale Überheblichkeit».

Die Unterzeichner erinnerten außerdem an «die prophetischen Worte der Väter des Konzils von Konstantinopel 1871»: «Wir verwerfen, tadeln und verurteilen den Ethnophyletismus als im Widerspruch stehend zur Lehre des Evangeliums und der heiligen Kanones unserer Väter, das heißt die Diskriminierung nach ethnischen Kriterien sowie die Auseinandersetzungen und Streitereien nationalen Charakters, die im Schoss der Kirche Christi stattfinden. » Die Kirche Christi dürfe laut den Autoren des Aufrufs nicht für die Einheit und Würde einer Nation instrumentalisiert werden. Als «Arche des Heils» öffne die Kirche den Zutritt zum Reich Gottes und gehöre so keiner Nation.

Unterzeichnet wurde der Aufruf u.a. von Erzpriester Boris Bobrinskoy, Ehrendekan des orthodoxen theologischen Instituts Saint-Serge in Paris, den Priestern Nicolas Lossky und Alexis Struwe, sowie den drei Professoren Michel Stavrou, Bertrand Vergely (beide St. Serge) und Jean-Claude Polet (Louvain- la-Neuve).

SOP Nr. 348, Mai 2010 – O.S.

Drucken