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Kirchliche Reaktionen auf die «Tragödie von Smolensk»

20. Mai 2010

Die polnische Bischofskonferenz hat den Flugzeugabsturz der Regierungsmaschine am 10. April nahe des Militärflughafens Smolensk in einer Erklärung als «Tragödie» bezeichnet, in der die «Helden des Vaterlandes» umgekommen seien.

In dem Flugzeug sind neben dem polnischen Präsidenten Lech Kaczynski und zahlreichen Spitzenvertretern aus Politik und Wirtschaft auch mehrere Geistliche ums Leben gekommen, die in ihren jeweiligen Kirchen wichtige Ämter innegehabt hatten. In der Erklärung der katholischen Bischöfe heißt es: «Die gesamte Nation ist in Schmerz und Leiden [...] vereint. Der Präsident, direkt vom Volk gewählt, ist die Personifizierung der Sorge um das Gut, das für unsere polnische Tradition das wichtigste ist [...]. In der Erfüllung der Pflichten gegenüber dem Vaterland wurden die Söhne des Volkes getötet [...] Sie waren auf dem Weg nach Katyn´ , um den ermordeten Soldaten die Ehre zu erweisen, die noch lange Jahre die Kriterien bürgerlicher Tugend und Vaterlandsliebe bestimmen werden. [...] Möge der Bezwinger des Todes die Tore der Göttlichen Barmherzigkeit vor jenen öffnen, die gestorben sind, möge er den Schmerz der Herzen derer lindern, die um sie weinen, möge er das im Schmerz geeinte Vaterland mit seinem Segen stärken.»

Insgesamt belief sich die Zahl der verunglückten Geistlichen auf neun: Neben Roman Indrzejczyk, dem Priester des Präsidenten, vier Militärgeistliche - Bischof Tadeusz Plocki (im Rang eines Divisionsgenerals) und Pfarrer Jan Osinski (im Rang eines Oberstleutnants) von der römisch- katholischen Kirche, Erzbischof Miron (Chodakowski) (im Rang eines Brigadegenerals) von der Polnischen Autokephalen Orthodoxen Kirche und Pfarrer Adam Pilch (im Rang eines Obersts) von der evangelischen Kirche A.B. - sowie vier weitere Priester der römisch-katholischen Kirche. - Dass sich in der Präsidentenmaschine viele Vertreter der Geistlichkeit befanden, ist nicht nur auf Anwesenheit hoher Militärgeistliche bei Staatsfeierlichkeiten im Allgemeinen zurückzuführen, sondern auch auf die besondere Rolle der polnischen Bischofskonferenz bei den Bemühungen um eine Aufarbeitung des russisch-polnischen Verhältnisse. Erst im Februar dieses Jahres hatten sich deren Spitzenvertreter mit Vertretern der Russischen Orthodoxen Kirche getroffen und konkrete Schritte zur Förderung der Versöhnung zwischen Polen und Russen geplant (s. G2W 4/2010, S. 6). Daher waren es auch nicht einfach leere oder pathetische Worte, wenn der Krakauer Kardinal Stanislaw Dziwisz in seiner Ansprache bei der Begräbnismesse des Präsidentenpaares dem Wunsch Ausdruck verlieh, «Frucht dieser tragischen Tode möge die polnisch-russische Versöhnung sein».

«Geeint im Schmerz», wie es in der eingangs zitierten Erklärung heißt, war Polen allerdings nicht in jeder Hinsicht: Um die Frage, wo Präsident Kaczynski und seine Frau beizusetzen seien, entbrannten bald heftige Debatten. Der Zwillingsbruder des Präsidenten, Lech Kaczynski, hatte den Wunsch geäußert, man möge sie auf dem Krakauer Burgberg Wawel bestatten, einem Ort höchster nationaler Symbolik. Bis dato waren dort allerdings neben den polnischen Königen nur einige der «ganz Großen» der polnischen Nation beigesetzt worden - die drei Dichter Adam Mickiewicz, Juliusz Slowacki und Cyprian Norwid, der Nationalheld Tadeusz Kosciuszko, der den letzten Aufstand gegen die polnischen Teilungen angeführt hatte, sowie Marschall Józef Pilsudski, der erste Präsident des unabhängigen Polens der Zwischenkriegszeit. Kritiker warfen daher die Frage auf, ob ein zu Lebzeiten äußerst umstrittener Präsident tatsächlich in dieses Pantheon einzureihen sei - und zahlreiche Polen protestierten auch dagegen. Schließlich wurde als eine Art Kompromiss der Sarkophag als Gedenkort für alle Opfer von Katyn und Smolensk gestaltet.

Ein etwas schaler Beigeschmack blieb jedoch, und eine zwei Wochen nach der Beisetzung durchgeführte Umfrage der Tageszeitung Gazeta Wyborcza ergab, dass nicht nur unter den Personen, die politisch nicht mit Kaczynskis Partei «Recht und Gerechtigkeit » sympathisierten, sondern selbst unter deren Wählern ein hoher Prozentsatz (über 40%, resp. rund 20%) die Entscheidung für unangemessen hielt - obwohl die polnische Bischofskonferenz am 15. April dazu aufgerufen hatte, die «unnötigen Streitigkeiten um den Ort der Bestattung des Präsidentenpaares zu unterlassen ». Einheit in der Trauer zeigten die Kirchen an den verschiedenen ökumenischen Gedenkgottesdiensten, aber auch in gegenseitigen Kommuniqués, in denen der Verlust der jeweils anderen Kirchen bedauert wird. Empfindlich war dieser für alle von ihnen. Der orthodoxe Militärgeistliche, der bei der Katastrophe ums Leben kam, war auch der erste Igumen der Nachkriegszeit des Klosters Suprasl gewesen, das den Rang einer Lavra hat und für die Orthodoxen in Polen neben dem Wallfahrtskloster Grabarka eine hohe symbolische Bedeutung besitzt. Der Verlust der evangelischen Kirche A.B. ist ebenfalls beträchtlich, da kurze Zeit später auch noch Bischof Mieczyslaw Cieslar, das Oberhaupt der Diözese Warschau, auf der Rückfahrt vom Gedenkgottesdienst für die Opfer der Tragödie von Smolensk tödlich verunglückte. Bischof Cieslar hatte sich nicht nur innerhalb seiner Kirche, sondern auch in der Ökumene sehr engagiert gezeigt.

Zwiastun Ewangelicki Nr 8, 25. April; Pressekommuniqué der Polnischen Diakonie, 27. April; Przegl?d Prawoslawny Nr. 5, Mai 2010; Pressekommuniqués der polnischen Bischofskonferenz, 10., 15., 18. April 2010; www.gazetawyborcza.pl, 10. April - 4. Mai 2010 - R.C.

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