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Montenegros umstrittener Weg in die NATO

15. März 2016

Seit Monaten beherrscht ein Thema die öffentliche Agenda in Montenegro: der mögliche Beitritt des Adrialandes zur NATO. Nach der offiziellen Beitrittseinladung der NATO im Dezember 2015 haben im Februar die Beitrittsverhandlungen begonnen.

Begleitet werden diese von lautstarken Protesten eines Teils der Bevölkerung. Laut einer Umfrage des Centre for Democracy and Human Rights (CEDEM) vom Juli 2015 gibt es in der Bevölkerung praktisch gleich viele Befürworter wie Gegner: 36,6 Prozent der Befragten würden im Fall einer Abstimmung für den Beitritt stimmen, 37,3 Prozent dagegen.

Auf die militärische Stärke der NATO hat der Beitritt des Winzlings Montenegro dabei kaum Auswirkungen. Der Adria­staat unterhält lediglich eine Berufsarmee mit rund 2 000 Soldaten. Außerdem arbeiten Montenegro und die NATO bereits seit längerem zusammen, so im Rahmen von Partners for Peace, einem Programm zur bilateralen Zusammenarbeit von NATO und Nichtmitgliedstaaten; zudem ist Montenegro u. a. an der NATO-Mission in Afghanistan beteiligt. Bisher war die Teilnahme an Auslandeinsätzen für montenegrinische Armeeangehörige freiwillig, sie wurde mittels finanzieller Anreize gefördert. Nun aber muss Montenegro zur Vorbereitung des Beitritts seine Verteidigungsgesetze anpassen. In einem ersten Schritt sollen NATO-Militäreinsätze für die gesamten Streitkräfte obligatorisch werden. Allerdings ist eine Mehrheit der Bevölkerung gegen das Engagement ihres Landes in Afghanistan und nur gerade 30 Prozent der Militärangehörigen halten die Teilnahme an NATO-Operationen für akzeptabel. Die montenegrinische Regierung beabsichtigt, sich auch an der NATO-Friedensmission im Kosovo zu beteiligen, was vor allem die große serbische Minderheit im Land strikt ablehnt.

Proteste gegen kleptokratisches Regime
Bereits im September 2015 begann in Montenegro eine Welle von Protesten. Die Regierung, insbesondere Ministerpräsident Milo Đukanović, gegen den sich die Proteste in erster Linie richteten, stellte die Kundgebungen als Manöver Russlands dar, das Montenegros NATO-Beitritt verhindern wolle. Tatsächlich waren Plakate und Parolen gegen die NATO Teil der Demonstrationen, aber vor allem war es die schwierige wirtschaftliche und politische Lage, die den Unmut der Bevölkerung erregte. Montenegro gilt als Kleptokratie, die Korruption grassiert, und Schmuggel und Schwarzmarkt – besonders von Zigaretten – sind ein großes Geschäft. Viele der rund 600 000 Einwohner finden ihr Auskommen in der Schattenwirtschaft; Armut und Perspektivlosigkeit treiben Tausende Montenegriner zur Emigration.

Düster ist auch die politische Situation: Seit dem Zerfall Jugoslawiens 1991 werden die Geschicke des Adrialandes praktisch von einem Mann bestimmt – von Milo Đukanović, der abgesehen von zwei zweijährigen Unterbrechungen entweder als Ministerpräsident oder als Staatspräsident amtete. Aber auch ohne Amt ist Đukanović als einflussreicher Geschäftsmann und Parteivorsitzender der Regierungspartei Demokratische Partei der Sozialisten (DPS) eine dominante Figur. Die DPS, entstanden aus dem montenegrinischen Zweig des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens, ist seit 1991 in wechselnden Koalitionen ununterbrochen an der Macht. Zunächst noch an einer Anbindung an Jugoslawien bzw. Serbien ausgerichtet, änderte die DPS nach der Jahrtausendwende ihre Politik, befürwortete die Unabhängigkeit und löste 2006 Montenegro aus dem Staatenbund mit Serbien. Bei dem damaligen Referendum hatte sich jedoch nur eine knappe Mehrheit für die Unabhängigkeit ausgesprochen. Die orthodoxe Bevölkerungsmehrheit ist in eine größere, sich explizit als Montenegriner verstehende Volksgruppe und in eine serbische Minderheit gespalten, die die serbische Identität Montenegros betont. Unter den jetzigen Demonstranten gegen den NATO-Beitritt befinden sich offenbar viele Anhänger serbischer Parteien.

Konflikt mit Russland
In Russland hat der mögliche Beitritt Montenegros zur NATO heftige Reaktionen hervorgerufen. Die Verbundenheit zwischen Russland und Montenegro geht auf das frühe 18. Jahrhundert zurück. Damals knüpfte Montenegro enge Beziehungen zum russischen Zarenreich, das in der Folge zu Montenegros Schutzmacht wurde. Zeitweise herrschte in Montenegro ein regelrechter „Russlandkult“. Zudem dient die montenegrinische Adria-Küste in jüngster Zeit vielen wohlhabenden Russen als Feriendomizil. Moskau hat Montenegro mit der Einstellung gemeinsamer Projekte gedroht. Die montenegrinische Führung zeigte sich allerdings unbeeindruckt. Momentan gebe es keine nennenswerten russischen Investitionen oder Wirtschaftsprojekte in Montenegro, noch seien solche geplant.

Ministerpräsident Đukanović erklärte, Montenegro verfolge bei seinen Bemühungen um NATO- und EU-Mitgliedschaft „seine eigenen Interessen“. Außerdem stellten die Handlungen seines kleinen Staates „keine Bedrohung“ für Russland dar. Der NATO-Beitritt Montenegros richte sich gegen niemanden, sondern sei ein weiterer Schritt in der europäischen Integration Montenegros. Ein von den Protestierenden verlangtes Referendum lehnte Đukanović ab – die wenigsten NATO-Mitglieder hätten Volksabstimmungen darüber durchgeführt. Angesprochen auf die Proteste gegen seine Person und seine lange Regierungszeit, erwiderte Đukanović gegenüber Radio Free Europe, er bzw. seine Partei hätten trotz Schwächen immer wieder gewonnen, weil die Konkurrenten „sehr, sehr schlecht“ gewesen seien und sich das „leider nie geändert“ habe.

Aufgrund der Proteste stellte Đukanović selbst einen Antrag für ein Misstrauensvotum, das er im Januar dank den Stimmen einer kleinen Oppositionspartei überstand. Daraufhin bot Đukanović der Opposition Posten in verschiedenen Ministerien an. Dieses Vorgehen ist typisch: Đukanović ist bekannt dafür, oppositionelle Kräfte effektiv auszuschalten, indem er sie integriert. Allerdings hat die Mehrheit der Oppositionsparteien sein Angebot abgelehnt.

Eine klare Meinung vertritt auch Metropolit Amfilohije (Radović) von Montenegro. Er kritisierte die Regierung scharf, vor allem für die ebenfalls im Dezember 2015 beschlossene Beteiligung Montenegros an den Sanktionen gegen Russland. Der höchste Vertreter der Serbischen Orthodoxen Kirche in Montenegro bezeichnete die Sanktionen als „Schande“. Die Machthaber seien daran, sowohl die Kirche wie auch Montenegro ihren eigenen Interessen und ihrer Machtgier zu opfern. Die Regierenden hätten Kosovo, Russland und die Orthodoxie „verraten“. Am Neujahresgottesdienst in Cetinje wurden vor der Kirche daher auch Unterschriften für ein NATO-Referendum gesammelt.

Für die NATO-Befürworter Montenegros im In- und Ausland dürfte der Beitritt ein logischer Schritt in Richtung Europa sein, zudem erhoffen sie sich eine größere Stabilität auf dem Balkan. Russlands heftige Reaktion hat wohl eher mit dem momentan schlechten Verhältnis zur NATO und EU als mit Montenegro zu tun.

Natalija Zenger

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