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Russisches Justizministerium will Änderungen zum Religionsgesetz überarbeiten

22. April 2010

Nach zahlreichen Protesten hat das russische Justizministerium am 19. Februar seine Änderungen zum Religionsgesetz «zur weiteren Bearbeitung» zurückgezogen. Die Änderungen sahen eine massive Einschränkung der missionarischen Tätigkeit sowie eine Meldepflicht für Mitglieder von religiösen Organisationen vor und hatten scharfe Kritik von Baptisten, Muslimen sowie eines Teils der Orthodoxen hervorgerufen.

Dem Gesetzesentwurf gingen mehrjährige Vorbereitungen voraus. Die russische Regierung hatte bereits im Jahr 2000 eine strenge gesetzliche Regelung missionarischer Tätigkeit ins Auge gefasst, um «islamistische Propaganda zu unterbinden» und den «internationalen Terrorismus» besser bekämpfen zu können. Das Justizministerium legte ihr 2006 einen ersten Entwurf vor, der in überarbeiteter Form im Herbst 2009 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Dieser Entwurf definiert Mission als «Tätigkeit unter Personen, die weder Mitglieder noch Teilnehmer oder Schüler der genannten Organisation sind, mit dem Ziel [...], sie in diese religiöse Organisation zu locken, wobei diese Tätigkeit von den religiösen Organisationen oder den von ihr dazu Bevollmächtigten direkt, öffentlich, über die Medien oder auf anderem gesetzlichen Wege realisiert wird». Das Recht zu predigen haben ausschließlich die Leiter der religiösen Organisation oder die von ihnen dazu Beauftragten, die über eine schriftliche Erlaubnis ihrer Religionsgemeinschaft verfügen müssen. Verboten ist Mission an Personen, die «wegen Schürens nationaler oder religiöser Hetze oder anderer Verbrechen extremistischen Charakters inhaftiert sind», ferner Mission in der Nähe von «Objekten religiöser Zweckbestimmung, die einer anderen Religionsgemeinschaft angehören, ohne schriftliche Einwilligung von deren Leitungsorgan» sowie in Behörden, Spitälern, Kinderheimen, Heimen für Behinderte usw. ohne schriftliche Bewilligung der betreffenden obersten Leitung. Minderjährige dürfen von einer Religionsgemeinschaft «nicht ohne ihren Willen und das Einverständnis ihrer Eltern» angeworben werden: Sie dürfen keine Kirche betreten oder theologische Gespräche führen; ihnen dürfen weder Druckerzeugnisse noch Audio / Videomaterialien ausgehändigt werden. Ferner muss jede religiöse Organisation die lokale Einwohnerkontrolle über ihre Existenz informieren und ihr eine Liste mit Namen und Adresse ihrer Mitglieder aushändigen. Jedes Zuwiderhandeln wird mit Geldstrafen gebüßt.

Roman Lunkin, Leiter der NGO «Institut für Religion und Recht», sowie Mitarbeiter am Europa-Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften, kritisierte gegenüber der Tageszeitung «Kommersant » den Gesetzesentwurf: Die vom Justizministerium vorgeschlagenen Bestimmungen verstießen gegen das Gesetz auf Meinungsfreiheit und damit gegen die Verfassung. Wenn der Staat beschlossen habe, auf solche Art die Kontrolle über die religiösen Organisationen zu übernehmen, werde er zudem scheitern - sie würden einfach in den Untergrund gehen.

Baptisten, Muslime, Juden und Altgläubige kritisierten den Entwurf z. T. heftig. Die Moskauer Evangeliumschristen- Baptisten (EChB) beanstandeten in einem offenen Brief an Präsident Medvedev vom 27. November 2009, der Entwurf verstoße «gegen die russische Verfassung, das Gesetz über Gewissensfreiheit sowie gegen internationales Recht». Auch wenn er vor allem die Minimierung des Einflusses von religiösem Extremismus auf die Gesellschaft bezwecke, biete er genügend Handhabe, um Gläubige auch verfolgen zu können. Gemäß der Lehre der EChB sei jeder Christ ein Missionar - und werde damit nach den Bestimmungen des neuen Gesetzes zum Gesetzesbrecher. Ohne Freiheit der Predigt könne es keine Gewissensfreiheit geben.

Der Mitvorsitzende des Mufti-Rats von Russland, Obermufti Nafigulla Aschirov, bezeichnete den Entwurf als «Redeverbot », auch für «gewöhnliche Bürger, die in einer S-Bahn über Religion reden wollten ». Derartige Einschränkungen habe es nicht einmal zu Sowjetzeiten gegeben. Das Gesetz könne leicht missbraucht werden, um unbequeme Religionsgemeinschaften loszuwerden.

Das Justizministerium nahm zu den Kritiken in einer Presseerklärung vom 19. Februar folgendermaßen Stellung: Primäres Ziel des vom russischen Präsidenten in Auftrag gegebenen Entwurfs sei es gewesen, eine juristische Definition des Begriffs «missionarische Tätigkeit» auszuarbeiten und die Mission an Minderjährigen einzuschränken. Der Entwurf habe alle gesetzlichen Instanzen durchlaufen und sei vom «Institut für Rechtssprechung und vergleichende Rechtswissenschaft» der russischen Regierung gutgeheißen worden. Am 12. Oktober 2009 sei er dann der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Der Kritik der Religionsgemeinschaften wolle man jedoch mit einer «ausgewogenen» Überarbeitung Rechnung tragen, die «auf einer konsolidierten Position aller interessierten Seiten» beruhen solle.

www.newsru.com, 2. Dezember; www.portal-credo.ru, 13. Oktober 2009 - 3. Februar 2010; www.interfax-religion.ru, 19. Februar 2010 - O.S.

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