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Russisches Verfassungsgericht verlängert Moratorium zur Todesstrafe

14. Januar 2010

Laut Beschluss des Verfassungsgerichts der Russischen Föderation vom 19. November 2009 darf auch nach dem 1. Januar 2010 in Russland weiterhin keine Todesstrafe verhängt werden. Nach dem geltenden russischen Strafrecht, dessen Wurzeln noch auf die Sowjetzeit zurückgehen, ist die Verhängung der Todesstrafe für eine Reihe besonders schwerer Verbrechen möglich, doch gilt darauf seit 1999 ein Moratorium, das nun verlängert wurde.

Die im Jahre 1993 verabschiedete russische Verfassung behält es Geschworenengerichten vor, Todesurteile zu verhängen. Da es zur Sowjetzeit keine Geschworenengerichte gab, mussten diese nach der „Wende" in den Teilrepubliken erst noch geschaffen werden. Da deren Einführung nur schleppend vorankam, sprachen in den 1990er Jahren auch andere Gerichte unter Missachtung der Verfassung Todesurteile aus.

Anwältin Natalia Wyssozkaja, Leiterin des Vereins „Glaube, Hoffnung, Liebe" für Strafgefangenenhilfe in Moskau und langjährige Projektpartnerin von G2W, reichte im Namen eines Mandanten, gegen den Gerichte zweimal unrechtmäßig Todesurteile verhängt hatten, im Jahre 1998 eine Verfassungsklage ein. Das Verfassungsgericht verfügte daraufhin am 2. Februar 1999 in einem mutigen Entscheid, dass ein Urteil mit Todesstrafe in Russland erst wieder gefällt werden dürfe, wenn in allen Teilrepubliken Geschworenengerichte geschaffen worden seien und somit Rechtsgleichheit im Lande bestehe. Dies kam einem Moratorium auf die Todesstrafe gleich, das bis heute andauert. Inzwischen ist jedoch abzusehen, dass als letzte Teilrepublik Russlands Tschetschenien ab dem 1. Januar 2010 das Institut des Geschworenengerichts einführen wird, so dass ab diesem Zeitpunkt auch die Möglichkeit der Verhängung der Todesstrafe wieder aktuell wird. Diese Perspektive veranlasste das Oberste Gericht Russlands zu einer Anfrage an das Verfassungsgericht.

Das Verfassungsgericht hat nun in einem Entscheid vom 19. November 2009 das Moratorium auf die Todesstrafe erneut auf unbegrenzte Zeit hin verlängert - allerdings mit anderer Begründung: 1997 hat die russische Regierung das Protokoll Nr. 6 zur Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, über die Abschaffung der Todesstrafe, unterzeichnet. Seit 1999 liegt dem russischen Parlament ein Gesetzesvorschlag zur Ratifizierung dieses Protokolls vor. Die Ratifizierung liegt in der ausschließlichen Kompetenz der höchsten Staatsorgane - Staatsduma und Föderationsrat - und ist bis heute hängig. Nach Ansicht des Verfassungsgerichts ist Russland in dieser ungeklärten Situation nach Art. 18 des Wiener Übereinkommens vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge verpflichtet, „sich aller Handlungen zu enthalten, die Ziel und Zweck eines Vertrags vereiteln würden". Eine Wiederaufnahme der Verhängung der Todesstrafe sei deshalb unter diesen Bedingungen ausgeschlossen. Das Gericht sehe sich auch nicht in der Lage, in der Frage der Ratifizierung Einfluss auf das Parlament zu nehmen. „Das kann niemand, nicht einmal der Präsident", erklärte der Vorsitzende des Verfassungsgerichts, Valerij Sorkin.

Die Russische Kirche begrüßte die Entscheidung des Verfassungsgerichts. Erzpriester Dimitrij Smirnov, Leiter der Synodalabteilung für Zusammenarbeit mit den Streitkräften und Rechtsschutzorganen, erklärte gegenüber der Agentur „Interfax-Religion", die Wiederaufnahme der Todesstrafe wäre „Irrsinn" gewesen. Das Fünfte Gebot laute schließlich: „Du sollst nicht töten". Jemand, der ein schweres Verbrechen verübt habe und dafür eine Strafe verbüße, erhalte so die Chance zur Reue.

Valerij Borschtschov, Mitglied des Expertenrates beim Bevollmächtigten für Menschenrechte der Russischen Föderation, zeigte sich „sehr zufrieden". Die Moratoriumsfrist habe jedem die allseits bekannte Wahrheit vor Augen geführt, dass die Todesstrafe oder ihr Fehlen in keiner Weise Einfluss die Kriminalitätsrate ausübe. Er sei sehr froh, dass „die Gesellschaft allmählich weise" werde, obwohl er sagen müsse, dass in keinem Land - außer der Schweiz - die Todesstrafe per Referendum abgeschafft worden sei.

www.portal-credo.ru, 19. November 2009; http://www.ng.ru/politics/2009-11-20/1_kazn.html - F.R.

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