Skip to main content

Streit um Lehrmittel zum Fach «Grundlagen der orthodoxen Kultur»

20. Mai 2010

In Russland wird heftig über die Lehrmittel für die verschiedenen Module des neuen Unterrichtsfachs «Grundlagen religiöser Kulturen und weltlicher Ethik» gestritten - vor allem über diejenigen für die «Grundlagen der orthodoxen Kultur» (GOK).

Kritiker befürchten, dass über den Umweg eines konfessionskundlichen Fachs, das ausschließlich von regulären Schullehrern unterricht werden darf, orthodoxer Religionsunterricht an den staatlichen Schulen Einzug halten könnte. Auf Kritik stieß auch die kurze Vorbereitungszeit für die Ausarbeitung der Lehrmittel und die unzureichende Ausbildung der Lehrer. Im Herbst 2009 wurde nach langer Diskussion schließlich Alexej Muravjov, Historiker im Bereich Allgemeine Geschichte an der Russischen Akademie der Wissenschaften und praktizierender Altgläubiger, von einer Gruppe von Fachleuten, die sich mit der Ausarbeitung des neuen Unterrichtsfachs beschäftigen (Mitarbeiter des Bildungsministeriums und des Wissenschaftsverlags «Bildung»), mit der Aufgabe betraut, ein Unterrichtswerk für die GOK zu erstellen. Das von Muravjov in wissenschaftlichem und wertneutralem Tonfall verfasste Schulbuch ging im Dezember 2009 in den Druck.

Gleichzeitig hatte jedoch die Russische Orthodoxe Kirche Erzdiakon Prof. Dr. Andrej Kurajev, Dozent an der Moskauer Geistlichen Akademie und enger Mitarbeiter des Patriarchen, mit der Erarbeitung eines eigenen Lehrbuchs für die GOK beauftragt. Kurajev legte ein Werk vor, das weitgehend katechetischen Charakter trägt. Im Dezember 2009 entbrannte ein heftiger Streit um die beiden Lehrbücher, wobei Kurajevs Werk letztlich den Sieg davontrug: Patriarch Kirill verkündete am 29. Dezember, die Kirche unterstütze nur Kurajevs Schulbuch. Daher sah sich die verantwortliche Fachgruppe entgegen aller zuvor verabschiedeten Vereinbarungen gezwungen, Muravjovs Buch im Januar aus dem Druck zu nehmen und stattdessen das Werk Kurajevs aufzulegen. Dieser nutzte die Monate Februar und März, um bei den Schulbehörden der 19 Regionen massiv Reklame für sein Lehrbuch zu machen. Allerdings war seiner Kampagne kein großer Erfolg beschieden, da nur rund ein Drittel aller Schüler die GOK gewählt haben. Kurajev erklärt dieses Wahlverhalten mit perfiden «Intrigen bestimmter Kreise im Kreml», die sich vor dem wachsenden Einfluss des Patriarchen fürchteten. Der Wissenschaftsverlag «Bildung» habe zudem sein Lehrbuch ohne Rücksprache mit ihm «ideologisch und radikal» redigiert. So sei das Kapitel «Gott» massiv gekürzt worden - das sei «Zensur».

Kurajevs Kritik kommentierte der Verlag lakonisch damit, dass er keine «Kreationismus- Propaganda» erlaube. Das «Moskauer Büro für Menschenrechte » hat inzwischen die Lehrmittel aller Module des neuen Unterrichtsfachs untersucht und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass jedes der zu den einzelnen Konfessionen verfassten Schulbücher «deutlich katechetischen Charakter» trage - entgegen der Versicherung des Verlags, dass es sich um «rein kulturologische Werke» handele. Auch wenn die Schulbücher laut dem «Moskauer Büro für Menschenrechte» nützliche und wichtige Informationen enthielten, so seien sie dennoch eher für den Religionsunterricht an Sonntagsschulen geeignet. Am besten gelungen sei das Lehrbuch für die «Kulturellen Grundlagen der Weltreligionen», da es von allen Schulbüchern das objektivste sei, Wissen vermittle und die Schüler zu Toleranz erziehe. Schlecht schnitt bei der Bewertung auch das von einem anonymen Autorenkollektiv verfasste Ethik-Lehrbuch ab, da es zahlreiche Fehler und Ungereimtheiten aufweise und somit in seiner jetzigen Form unbrauchbar sei.

Das schlechte Abschneiden des Ethik- Lehrbuchs dürfte vor allem darauf zurückzuführen sein, dass sich führende russische Ethiker nach langem Tauziehen geweigert haben, an dem Schulbuch mitzuarbeiten. Prof. Dr. Vadim Perov, Lehrstuhlinhaber für Ethik an der Universität St. Petersburg, erklärte im Januar, das Bildungsministerium habe sich erst am 8. Dezember an die Ethikfachleute gewandt mit der Bitte, bis zum 15. Dezember ein Lehrbuch vorzulegen - eine lächerlich kurze Frist. Außerdem seien seiner Ansicht nach die 11- bis 12-jährigen Kinder der Klassen 4 und 5 für ethische Fragestellungen grundsätzlich zu jung. Auf Druck des Ministeriums und des Verlags sei man schließlich übereingekommen, einen Entwurf vorzulegen, doch sei dann fast um jeden Begriff ein Streit entbrannt - vor allem um den Begriff «weltliche Ethik». Gegen die von den Experten vorgeschlagene Definition habe sich das Bildungsministerium mit dem Argument gesperrt, diese werde «den Geistlichen nicht gefallen». Nach langem Hin und Her hätten sich die Ethikfachleute zurückgezogen. Wer das jetzige Lehrbuch verfasst habe, sei unbekannt.

www.portal-credo.ru, 14. Januar - 2. April 2010 - O.S.

Drucken