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Tschechien: Kündigung für kirchliches Asylhaus

20. Mai 2009

Das Asylhaus «Spole?nou cestou» («Gemeinsam unterwegs») in der Prager Südstadt gehörte mit 65 Plätzen zu den größten Häusern dieser Art in der ganzen Tschechischen Republik. Seit 1997 wurde hier jährlich rund hundert Müttern mit ihren Kindern sowie ganzen Familien ein Schutzraum geboten. Rund die Hälfte der Einwohner des Asylhauses sind Roma, sozial gesehen die am meisten gefährdete Gruppe der Bevölkerung. Die Gemeinde der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder (EKBB) in der Prager Südstadt arbeitet mit dem Projekt von Anfang an zusammen. Aus dieser Zusammenarbeit erwuchs die Idee, ein neues Gemeindehaus und eine neue Kirche in Prag-Südstadt in direkter Nachbarschaft zum Asylhaus zu bauen, um so Verkündigung und Sozialarbeit zu verkoppeln. Das Gemeindezentrum, das mit Hilfe zahlreicher Partner aus dem Ausland errichtet werden konnte, wurde im Oktober 2006 seiner Bestimmung übergeben. Zum 31. Januar 2009 kündigte der Stadtrat des Bezirks Prag 11 dem Asylhaus, um in diesen Räumlichkeiten wieder - wie vor der Nutzung durch das Asylhaus - einen Kindergarten einzurichten. Gegen diese Kündigung formierte sich eine Bürgerinitiative, an der sich die EKBB-Gemeinde der Prager Südstadt beteiligte und die auch von vielen ausländischen Sympathisanten (etwa dem deutschen Gustav-Adolf-Werk) unterstützt wurde. Die Initiative schlug dem Stadtrat mehrere andere ehemalige Kindereinrichtungen, die gegenwärtig kommerziell genutzt werden, für den neuen Kindergarten vor. Sie konnte sich u.a. auf eine Einschätzung der Oppositionspolitikerin Radka Soukupová stützen, die darauf hinwies, dass damit die in jahrelanger Anstrengung aufgebaute Struktur des Asylhauses zerstört werde, da dessen Klientel offensichtlich weniger Wählerstimmen einbringe als die Eltern von Kindergartenkindern. Zudem seien in einem anderen Gebäude eines ehemaligen Kindergarten, das sich im Besitz des Stadtrates befindet, ein Fitnesszentrum und ein Restaurant untergebracht, wofür wesentlich leichter alternative Räumlichkeiten gefunden werden könnten. Trotz der Proteste und der Unterstützung verschiedener Politiker, darunter eines Ministers, bekräftigte der Stadtrat am 22. Januar seine Entscheidung. Seit der Kündigung des Asylhauses führt die Initiative «Spole?nou cestou» ihre Beratungen im nahe gelegenen Gemeindezentrum durch; für die Bewohner des Asylhauses stellte der Stadtrat in einer Entscheidung vom 9. April 2009 sechs Ersatzwohnungen zur Verfügung. Eine ähnlich umfassende Betreuung wie im ehemaligen Asylhaus kann den Bewohnern dort jedoch nicht angeboten werden. - Die «Entschädigung» kann auch kaum darüber hinwegtäuschen, dass in Tschechien gegenwärtig politische Entscheidungen immer häufiger nur im Blick auf den (kurzfristigen) Gewinn von Wählerstimmen getroffen werden, wodurch soziale Projekte oft in eine schwierige Lage geraten. Das Asylhaus «Spole?nou cestou»ist nicht der einzige Fall; ein ähnlicher betrifft ein Asylhaus, das von der katholischen Kirche in einem anderen Stadtteil von Prag unterhalten wird. Ein weiteres unerfreuliches Detail ist, dass die Umwidmung des Asylhauses einen Rückbau notwendig machte, mit dem Baugesellschaften betraut wurden, in deren Aufsichtsräten Politiker des Stadtrates sitzen.

Pressemitteilung des Gustav-Adolf-Werks vom 28. Januar 2009; Protestant Nr. 2, 3/2009; www.sos-asyl.cz - R.C

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