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Ukraine: Griechisch-Katholische Universität unter Beobachtung des Sicherheitsdienstes?

20. Juni 2010

Der Rektor der Ukrainischen Griechisch- Katholischen Universität (UCU) in Lviv, Priester Dr. Borys Gudziak, setzte die ukrainische Öffentlichkeit am 18. Mai über den Besuch eines Beamten des Staatlichen Sicherheitsdienstes (SBU) bei der UCU in Kenntnis.

Der Beamte habe ihm mitgeteilt, bestimmte politische Parteien planten Proteste und Demonstrationen gegen «die kontroverse Politik der neuen ukrainischen Behörden ». An diesen Protesten würden sich auch Studierende der UCU beteiligen, und es bestehe die Gefahr, dass einige dieser Kundgebungen durch Provokationen «Schaden nehmen» könnten. Natürlich hätten die Studierenden das Recht zu protestieren, doch die Universitätsleitung müsse sie warnen, dass jeder, der in illegale Handlungen involviert sei, strafrechtlich verfolgt würde. Das gelte auch für Blockaden der Eingänge zu staatlichen Einrichtungen sowie für jeden ungenehmigten Protest.

«Dann legte mir der Beamte ein an mich adressiertes Schreiben vor und bat mich, es durchzulesen und mit meiner Unterschrift zu bestätigen, dass ich von dessen Inhalt Kenntnis genommen hätte. Den unterzeichneten Brief müsse er wieder mitnehmen. Ich entgegnete, da der Brief an mich adressiert sei, werde er damit zu meinem Eigentum und müsse daher in meinem Besitz bleiben, zumindest in einer Kopie. Nur unter diesen Bedingungen sei ich bereit, das Schreiben überhaupt durchzulesen, geschweige denn es zu unterzeichnen.» Der überraschte Beamte habe daraufhin seinen Vorgesetzten angerufen; dieser habe ihm untersagt, den Brief bzw. eine Kopie beim Rektor zu lassen, da er befürchte, dieser «könnte ihn im Internet veröffentlichen».

Laut Rektor Gudziak habe der Beamte ihm zudem mitgeteilt, dass er «mit Geistlichen auf regulärer Basis zusammenarbeite ». Daraus lasse sich folgern, dass andere Geistliche, die Jugendliche, Studenten usw. betreuen, bereits [vom Sicherheitsdienst] angesprochen wurden und nichts dagegen einzuwenden hatten, solche Dokumente zu unterzeichnen. Er dagegen habe dem Beamten erklärt, dass er ein solches Prozedere sowie die Geheimhaltung infrage stelle und sich weigere, den Brief in die Hand zu nehmen und zu lesen: Der Ukrainische Sicherheitsdienst beschäftige als Nachfolgeorganisation des früheren KGB zahlreiche Beamte aus der Sowjetzeit und trage daher schwer an dem Erbe, Menschen physisch und psychisch gebrochen zu haben. Der Beamte solle sich vorsehen und nichts tun, an dem er persönlich dauerhaft Schaden nehmen und Schande über seine Kinder und Enkel bringen könnte. Der Beamte habe ihm zugestimmt und erklärt, er wolle nur «den ukrainischen Bürgern dienen». Darauf habe er entgegnet, die meisten Ukrainer seien empört über die grassierende Korruption der Beamten des Sicherheitsdienstes und der Polizei. Dieser würden sie zudem misstrauen, weil sie ehrliche Politiker, Journalisten und einfache Bürger oft einschüchtere, während der Sicherheitsdienst kleine und mittlere Unternehmen ständig erpresse. Das solle er seinen Vorgesetzten berichten.

Rektor Gudziak kommentierte den Besuch des Beamten des SBU folgendermaßen: Die Unterzeichnung eines solchen Schreibens sei gleichbedeutend mit der Zustimmung zur Kollaboration mit dem Sicherheitsdienst, da der Unterzeichnende sich durch seine Unterschrift mit dem Inhalt des Geschriebenen einverstanden erkläre. Auf diese Weise habe früher der KGB seine Mitarbeiter rekrutiert. Seit der Unabhängigkeit der Ukraine habe es derartige Methoden nicht mehr gegeben. Er befürchte, die UCU könne in den kommenden Monaten von der Staatssicherheit observiert werden und sogar unter Druck geraten. Gudziak appellierte an die Solidarität der internationalen Gemeinschaft, sie könne der UCU helfen, an Freiheit und Offenheit festzuhalten, und sie unterstützen, um solcher Freiheitsverletzung zu widerstehen.

Eine Woche später teilte Rektor Gudziak der Presse mit, die Leiterin der Administration des ukrainischen Präsidenten, Anna Herman, habe ihn angerufen und mitgeteilt, die ganze Angelegenheit sei ein Missverständnis. Herman habe das Verhalten des Sicherheitsdienstes scharf kritisiert und als «absurd» bezeichnet. Der Chef des Ukrainischen Sicherheitsdienstes, Valerij Choroschovskij, sei bereit, sich mit dem Rektor zu treffen. – Kurz darauf erklärte Anna Herman zudem, dass Präsident Janukovytsch Valerij Choroschovskij damit beauftragt habe, die in dem Offenen Brief des Rektors enthaltenen Tatsachen sorgfältig zu überprüfen. Janukovytsch sei davon überzeugt, dass «sämtliche Rechtsschutzorgane die Macht des Gesetzes stärken, Gesetz und Ordnung fördern und jeder Druck auf Rechte und Freiheiten der Menschen verhindern werden muss». Laut Rektor Gudziak spürten die Studierenden und Angestellten der Ukrainischen Katholischen Universität allerdings durchaus den Druck des Staatssicherheitsdienstes: Er sei beunruhigt darüber, dass Beamte des SBU Angehörige der UCU aufsuchten und versuchten, bei ihnen Misstrauen gegenüber der UCU-Leitung zu säen und eine Atmosphäre der Angst zu schaffen.

Fr. Borys Gudziak: Memorandum Regarding the Visit to UCU of a representative of the Security Service of Ukraine (SBU), 18. Mai; NÖK, 30. Juni 2010 – O.S.

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