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Ungarn: Theologen kritisieren „christlichen Autoritarismus“ in Ungarn

10. Mai 2016

An einer Podiumsdiskussion haben sich führende ungarische katholische Intellektuelle wie der Religionswissenschaftler András Máté-Tóth oder der Religionssoziologe János Wildmann kritisch mit der politischen Agenda von Ministerpräsident Viktor Orbán auseinander gesetzt. Sie fand im Wiener Otto-Mauer-Zentrum des Katholischen Akademikerverbandes zum Thema „Verteidigung des christlichen Abendlandes“ als Topos der Politischen Theologie rechtsnationaler Parteien statt. Gleichzeitig orten sie ein mangelndes Verständnis seitens des Westens für die historischen Hintergründe der aktuellen Entwicklungen in Osteuropa. Der Wiener Philosoph und Theologe Hans Schelkshorn wiederholte beim Podiumsgespräch in Wien seine Analyse, die zuvor auf Druck der Ungarischen Bischofskonferenz aus dem Online-Magazin „EuropeInfos“ der Kommission der Bischofskonferenzen der EU (ComECE) entfernt werden musste. „Höchstgefährlich“ sei der „christliche Autoritarismus“, mit dem Viktor Orbán in Ungarn regiere, so der in Wien lehrende Professor. Parteien wie Orbáns Fidesz oder die FPÖ seien nicht einfach „rechtspopulistisch“, vielmehr handle es sich um postfaschistische Parteien mit einem „illiberalen Demokratieverständnis“, die im Namen des Schutzes der vorher selbst definierten „Heimat“, Freiheiten wie Rechtsstaatlichkeit oder Pressefreiheit in den Hintergrund rückten. So würden mühsam und über Jahrhunderte erkämpfte Menschenrechte langsam ausgehöhlt, betonte Schelkshorn.
Viele der Parteien benutzen darüber hinaus ein „pervertiertes Verständnis“ des Christentums als eine Säule ihrer Politik. Schwierig werde es, wenn sich die Kirche, wie in Ungarn, von der Politik vereinnahmen und instrumentalisieren lasse. Dies sei insbesondere durch massive Zuwendungen des Staates an die Kirche und andere Privilegien geschehen, so der Vorwurf von Schelkshorn. So würden die universalistischen Grundlagen des Christentums verdrängt und müssten nach und nach einem nationalistisch ausgerichteten und horizontal beschränkten Verständnis von christlicher Nächstenliebe weichen.
Die christlichen Intellektuellen hätten den Auftrag, den „Zirkel der Eindeutigkeiten“, wie er von der „Neuen Rechten“ propagiert werde, zu durchbrechen, zeigte sich der an der Universität Szeged lehrende Religionswissenschaftler András Máté-Tóth überzeugt. „Für diese Parteien gibt es immer nur ein richtig oder falsch und nichts dazwischen.“ Eine solch vereinfachte Sicht auf die Welt sei für Christen allerdings nicht der richtige Weg, so Máté-Tóth. Gleichzeitig vermisst er aber auch bei Beobachtern aus dem Westen ein grundsätzliches Verständnis für die historischen Hintergründe der osteuropäischen Länder. „Das ungarische Volk hatte seit Jahrhunderten keinerlei Selbstbestimmung.“ Für die aufkeimende Hoffnung der Souveränität werde deswegen nun alles andere „weggeworfen“, so Máté-Tóth.
Auch der Religionssoziologe und Ökonom János Wildmann ortete ein mangelndes Verständnis für die Situation in Osteuropa von Seiten des Westens. „Die Ungarn haben es nie gelernt, was es bedeutet freie Bürger zu sein, nun ist es schwierig von ihnen zu verlangen, zu begreifen was da wirklich vor sich geht“, sagte der Gründer der pastoraltheologischen Zeitschrift Egyházfórum (Kirchenforum). Orbán sei kein Staatsmann, sondern ein reiner Machtpolitiker ohne Prinzipien, so Wildmann. Dem ungarischen Ministerpräsidenten seien weder die christlichen Werte noch die Demokratie heilig, es gehe ihm ausschließlich um Macht: „Vor 25 Jahren war Orbán noch ein liberaler Demokrat, als er merkte, dass er damit nicht weit kommt, ist er einfach auf den rechten Dampfer aufgesprungen.“
Rita Perintfalvi, Präsidentin des Ökumenischen Verbands der Theologinnen Ungarns, äußerte sich kritisch zum von der ungarischen Spitzenpolitik verbreiteten Verständnis der Rolle der Frau. Nach der Logik der Regierung müsse die massive Emigration, die nach der Wende eingesetzt habe, nun durch eine „ultrakonservative Familienpolitik“ wieder ausgeglichen werden. Dabei sei es die erste Aufgabe der Frauen zu Hause zu bleiben und möglichst viele Kinder zu bekommen. Erkennbar sei dies auch an Zusammensetzung der Regierung und des Parlaments in Budapest. Schon der mit zehn Prozent sehr geringe Anteil an weiblichen Parlamentsabgeordneten sei im europäischen Vergleich „beschämend“. Der Gipfel sei es aber, dass in der Regierungsmannschaft Orbans keine einzige Frau sitzt, so Perintfalvi.
Kathpress, 29. April 2016.

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