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Wahlen 2019 in Polen und Ungarn

11. November 2019

Rückschläge für die illiberalen Regierungen

Die Parlamentswahlen in Polen und die Lokalwahlen in Ungarn am 13. Oktober 2019 sind auf große Aufmerksamkeit gestoßen. In beiden Ländern regieren derzeit Verfechter einer illiberalen Ideologie, gegen die die EU ein Rechtsstaatsverfahren (Art. 7) eingeleitet hat. Deshalb könnte jeder politische Wettbewerb ein Zeichen für einen Gezeitenwechsel sein. Die Wahlergebnisse bedeuteten zwar diesbezüglich keinen Durchbruch, doch könnten sie die illiberalen Auswirkungen durchaus einschränken.

Enttäuschte Regierungsparteien
In Ungarn haben die Kandidaten der Regierungspartei Fideszzwar mehrheitlich die Bürgermeisterämter und Ratssitze in den Wahlkreisen gewonnen, doch in den Schlüsselstädten einschließlich Budapest haben sie verloren. Seit 2006 ist das die erste Wahlkampagne der Opposition mit einem bescheidenen Erfolg. Die Oppositionsparteien hatten sich im Vorfeld auf einen Kandidaten geeinigt und fügten der Regierungspartei so eine PR-Niederlage zu. Ministerpräsident Viktor Orbán hatte insbesondere in Budapest auf einen klaren Sieg gehofft und große Summen in die Wahlkampagne investiert. Die verlorenen Wahlen in den Großstädten sind nicht nur ein politischer Weckruf für seine Partei, sondern auch ein wichtiges ökonomisches Signal. Am Montag nach den Wahlen bestätigte die Börse einen starken Niedergang von Unternehmensanteilen, die mehrheitlich im Besitz von Lőrinc Mészaros sind. Der frühere Bürgermeister von Orbáns Geburtsstadt Felcsút gilt laut Forbes Ungarn als reichster Mann des Landes, der sein Vermögen vor allem dank Regierungsverträgen angehäuft hat. 
In Polen hat sich die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit(PiS) eine Mehrheit im Unterhaus des Parlaments (Sejm) und eine zweite Amtszeit gesichert, indem sie 235 von 460 Mandaten gewann. Gleichzeitig hat sie die Mehrheit im Senat (48 von 100 Sitzen) knapp verpasst und kann nun nicht mehr wie bisher die effiziente Taktik anwenden, kontroverse Gesetzesvorhaben im Eiltempo durch den Sejm, den Senat bis zur Unterschrift durch den Präsidenten zu schleusen, was manchmal weniger als zwei Tage dauerte. Obwohl der Sejm jede Gesetzesänderung durch den Senat leicht überstimmen kann, muss er doch bis zu 30 Tage warten, in denen der Senat auf die vorgeschlagene Vorgehensweise reagieren kann. Die PiS verlangt jedoch eine Neuauszählung der Stimmen in einigen knapp verlorenen Wahlkreisen, um die Zusammensetzung des Senats noch zu ihren Gunsten zu verändern.
Auf jeden Fall ist das Ergebnis für den PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński und viele Parteimitglieder enttäuschend, weil sie mit mehr als 260 Sitzen gerechnet hatten. Stattdessen muss die Partei sich nun um ein sorgfältiges Timing ihrer zentralen Gesetzesinitiativen bemühen, um sie durch das Parlament zu bringen. Für die weitere Entwicklung des politischen Systems werden die Präsidentschaftswahlen im Mai 2020 ausschlaggebend sein. Der vom Volk direkt gewählte Präsident hat zwar mehrheitlich repräsentative Funktionen, doch dient er als Element der verfassungsrechtlichen Checks und Balances, da sein Veto im Gesetzgebungsprozess nur von einem Minimum von drei Fünftel aller Abgeordneten aufgehoben werden kann. Anstelle ehrgeiziger Pläne muss die PiS sich also nun vorerst darauf konzentrieren, ihren Status quo zu verteidigen.
Zu den Wahlkampfversprechen der PiS zählte ein neues Machtorgan, das die privaten Medien unter ihre Kontrolle bringen und unabhängige Journalisten einschränken soll. Auch die parlamentarische Immunität will die Partei aufheben, damit Abgeordnete auf Anordnung des Generalstaatsanwalts, zurzeit Justizminister Zbigniew Ziobro, festgenommen werden können. Die Partei will auch ihre „Justizreform“ vorantreiben und das Gerichtssystem weiter umbauen (s. RGOW 3/2017, S. 12–13). Im April 2020 wird sie den neuen Präsidenten des Obersten Gerichts nominieren, und das Parlament wird mit einem Gesetz, das bereits in Kraft ist, eine neue Wahlkommission wählen. In der EU wird dies die Debatte über die polnische Rechtsstaatlichkeit verschärfen.

Die Rolle der öffentlichen Medien
Nach Berichten von OSZE-Beobachtern waren die Wahlen in Ungarn zwar frei, aber nicht fair. Verantwortlich dafür sind politische Korruption und ungleiche Spielregeln in den Medien wie bei der öffentlichen Finanzierung. Die Wahlen in Polen galten zwar als frei und fair, doch monierte die OSZE die Rolle des Fernsehens: Unter der PiS-Regierung sind das öffentlich-rechtliche Fernsehen und Radio zu Propagandamaschinen geworden, die dazu beigetragen haben, die Parteibasis zu konsolidieren und zu mobilisieren – auch wenn die Mehrheit der Wähler ihnen nicht vertraut. So spielen die öffentlichen Medien in beiden Ländern eine enorme Rolle. Trotz des raschen Wachstums alternativer Internetmedien (s. RGOW 2/2019, S. 8–9, 12–13) werden Wahlen noch immer in den Abendnachrichten gewonnen. Doch die von der Regierung kontrollierten öffentlichen Medien untergraben ernsthaft die Informationssouveränität der Wähler, indem sie Berichte über krasse Korruptionsskandale im Umfeld der Regierung einschränken oder herunterspielen.
Innerhalb der EU haben beide Länder ihre Fähigkeit eingeschränkt, deren Agenda zu beeinflussen. Doch kämpfen sie weiterhin um mehr Einfluss. Für beide Länder wie auch für den Rest von Mitteleuropa spielt die deutsche Wirtschaft eine dominante Rolle. Doch unterscheiden sie sich in ihrem Engagement im transatlantischen Rahmen. Ungarn versucht als selbstsicheres NATO- und EU-Mitglied, neue bilaterale Arrangements mit autoritären Regimes einzugehen, die gegenüber dem Westen feindlich eingestellt sind. Polen wiederum hat sich unter der PiS-Regierung Großbritannien als strategischen Schlüsselpartner auserkoren, doch angesichts des Brexit beginnt diese jetzt wieder die strategischen ökonomischen und politischen Beziehungen mit Deutschland zu betonen. Das weckt Hoffnung auf eine Mäßigung des illiberalen Kurses in Warschau.

Wojciech Przybylski, Editor-in-chief Visegrad Insight; Chairman Res Publica, Warschau, Polen.
Übersetzung aus dem Englischen: Regula Zwahlen.

pdfRGOW 11/2019, S. 3

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