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Zweite Pastoralreise von Patriarch Kirill in die Ukraine

19. August 2010
Nach seiner ersten Pastoralreise im vergangenen Jahr (s. G2W 10/2009, S. 16-18) und der Teilnahme an der Amtseinführung des neuen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukovytsch Ende Februar (s. G2W 4/2010, S. 9) hat das Oberhaupt der Russischen Orthodoxen Kirche, Patriarch Kirill, vom 20. bis zum 28. Juli zum dritten Mal die Ukraine besucht.

Stationen auf seiner zweiten längeren Pastoralreise waren diesmal Odessa, Dnepropetrovsk und Kiew. Auf dem Programm standen neben Gottesdiensten – u. a. die Einweihung der Christi-Verklärungs- Kathedrale in Odessa – Gespräche mit Bischöfen und Priestern der drei Eparchien, Besuche in Klöstern, Unterredungen mit der politischen Führung des Landes und Auftritte bzw. Predigten in der Öffentlichkeit. Nicht angekündigt worden war im Vorfeld das Zusammentreffen mit Präsident Janukovytsch in dessen Sommerresidenz auf der Krim. Höhepunkt der Reise waren die kirchlichen Feiern in Kiew zum Gedenken an die Taufe des Kiewer Fürsten Vladimir (Volodymyr) im Jahr 988.

In Kiew leitete der Patriarch auch eine Sitzung des Hl. Synods der Russischen Orthodoxen Kirche, der anschließend einen Aufruf an «alle orthodoxen Christen in der Ukraine, die außerhalb der Einheit mit der Heiligen Kirche verbleiben», veröffentlichte und sie zur Rückkehr in die kanonische Ukrainische Orthodoxe Kirche/Moskauer Patriarchat (UOK-MP) aufrief.

Am Vorabend des Gedenktages zur «Taufe der Rus’» am 28. Juli, der sowohl in der Ukraine als auch seit neuestem in Russland ein staatlicher Feiertag ist (s. G2W 7-8/2010, S. 6), zelebrierte Patriarch Kirill auf dem Vladimir-Hügel in Kiew vor dem Denkmal des Heiligen einen Fürbittengottesdienst, an dem auch Vertreter der römisch-katholischen und Armenischen Apostolischen Kirche sowie Ministerpräsident Mykola Asarov und Parlamentspräsident Volodymyr Lytvyn teilnahmen. In seiner Predigt zum historischen Vermächtnis des hl. Fürsten Vladimir erklärte der Patriarch, dass sich das «moderne Heidentum mit seinem Kult der Gewinnsucht und des Hedonismus» nur wenig «vom heidnischen Kult zur Zeit des hl. Vladimir» unterscheide. Ohne den hl. Vladimir gebe es «keine Heilige Rus’, noch uns alle – jenes Volk, das nicht nur den Glauben, sondern auch ein mächtiges Wertesystem durch die Generationen tradiert hat.» Es gebe keine Einheit, «die auf Spaltung beruht, noch eine Freiheit, die aus Feindschaft und Angst gezeugt» sei. Vor der Ikone des hl. Vladimir betete der Patriarch für «die Bewahrung der Einheit, die Überwindung der Spaltung, die so töricht aufoktroyiert und zum kurzsichtigen politischen Vorteil benutzt» worden sei.

Am Feiertag selbst feierte der Patriarch zum Abschluss seines Besuchs eine Liturgie unter freiem Himmel auf dem Platz vor dem Kiewer Höhlenkloster. In seiner Abschiedsrede nach dem Gottesdienst bekräftigte ausdrücklich den autonomen Status der UOK-MP: Das Landeskonzil der Russischen Orthodoxen Kirche habe die selbständige Leitungsbefugnis der UOK mit ihrem Recht auf weitgehende Autonomie bestätigt, und das Patriarchat Moskau plane nicht, diese Entscheidung wieder rückgängig zu machen. Dies wolle er «allen Unverständigen, die keine Ohren haben, und die das Sehen und die Erinnerung verloren haben», ins Gedächtnis rufen. Patriarch Kirill betonte, er sei nicht in die Ukraine gereist, um «die Rechte und Möglichkeiten des Vorstehers der UOK einzuschränken, sondern um gemeinsam mit ihm und der gesamten UOK» sowie allen Orthodoxen «Christus den Gekreuzigten und Auferstandenen vor aller Welt zu bekennen».

Diese Worte des Patriarchen waren wohl vor allem eine Antwort auf die teilweise harsche Kritik aus den Reihen der ukrainischen kirchlichen und politischen Opposition, die sich im Vorfeld und während der Reise des Patriarchen ausführlich zu Wort meldete. Aus deren Sicht ist der Patriarch lediglich ein «Emissär des politischen Moskaus»: Seine Redewendungen von der «Heiligen Rus’», der «russischen Welt und vom russischen Frieden» seien lediglich religiöse Verbrämungen von Moskaus «imperialistischem Streben», das die Selbständigkeit der Ukraine auflösen und sie erneut Russland einverleiben wolle. In kirchlicher Hinsicht plane der Patriarch zudem, das Oberhaupt der UOK-MP, Metropolit Volodymyr (Sabodan), abzusetzen, da dieser ihm zu selbständig geworden sei.

Kritik am Besuch des Patriarchen

Kritiker monierten zudem, dass die erst im Herbst letzten Jahres gebildeten Arbeitsgruppen mit der Ukrainischen Orthodoxen Kirche / Kiewer Patriarchat (UOK-KP) und der Ukrainischen Autokephalen Orthodoxen Kirche zur Überwindung der Kirchenspaltung im Land (s. G2W 2/2010, S. 10) ihre Arbeit mittlerweile wieder eingestellt hätten. Das Patriarchat Moskau zeige damit deutlich, dass es eine Einheit weder auf diplomatischem Weg noch mittels eines Dialogs suche. Vielmehr versuche die Russische Orthodoxe Kirche bereits im Ansatz jeden Keim zu einer eigenständigen ukrainischen Lokalkirche zu ersticken, da sie ansonsten mindestens die Hälfte aller ihrer Gemeinden verliere.

Besondere Kritik rief das Zusammentreffen von Patriarch Kirill mit Präsident Janukovytsch in dessen Sommerresidenz auf der Krim am 23. Juli hervor. Als erstem ukrainischen Präsidenten verlieh der Patriarch Janukovytsch auch den Hl. Vladimir- Orden, die höchste Auszeichnung der Russischen Orthodoxen Kirche. Janukovytsch erhielt die Auszeichnung für seinen Beitrag zur «Stärkung» des orthodoxen Glaubens in der Ukraine sowie anlässlich seines 60. Geburtstags.

Über die Gesprächsthemen zwischen Patriarch Kirill und Präsident Janukovytsch wurde nichts bekannt. Laut Beobachtern dürfte es aber vor allem um die noch immer ungelöste Frage des kirchlichen Eigentums und des juristischen Status der Kirchen sowie um eine eventuelle Unterstützung der Regierungspartei «Partei der Regionen» bei den Wahlen im Herbst durch die Russische Orthodoxe Kirche gegangen sein.

Im Vergleich zum letztjährigen Besuch des Patriarchen kamen diesmal deutlich weniger Gläubige zu den Gottesdiensten und Veranstaltungen mit dem Patriarchen als erwartet. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass die Polizei bereits im Vorfeld jegliche Demonstrationen verboten hatte – sowohl für als auch gegen den Patriarchen. Lediglich am 28. Juli, dem «Tag der Taufe der Rus’», fand im Zentrum Kiews eine Prozession der UOK-KP statt, an der mehrere tausend Gläubige teilnahmen. Am Schluss eines Dankgottesdienstes vor dem Denkmal des hl. Vladimir verlas das Oberhaupt der UOK-KP, Patriarch Filaret, ein Sendschreiben, in dem er erklärte, «statt der Einheit in Christus» wolle «man den Ukrainern die Einheit unter der Macht eines ausländischen Hierarchen aufzwingen». Seine Kirche sehne allerdings die Einheit der ukrainischen Orthodoxie sowie die Einheit im Glauben und im Gebet mit den übrigen orthodoxen Kirchen herbei.

www.portal-credo.ru, 16.–28. Juli; www.mospat.ru, 20. Juli; www.interfax-religion.ru, 23.–26. Juli; www.religio.ru, 23., 27. Juli 2010. - Olga Stieger

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