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Diakonie Polen: Aufnahme und Integration ukrainischer Flüchtlinge

Regula Spalinger im Gespräch mit Wanda Falk

In Polen haben europaweit die meisten ukrainischen Flüchtlinge Zuflucht gefunden. Die Diakonie der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen engagiert sich bei der Aufnahme und Integration der Flüchtlinge. Sie unterstützt Sprachkurse, Freizeitaktivitäten und Integrationsprogramme. In den evangelischen Kirchgemeinden sollen Tagestätten entstehen, in denen die Flüchtlinge rechtliche und psychologische Beratung erhalten, wie die Generaldirektorin der Diakonie, Wanda Falk, berichtet.

Wie viele Flüchtlinge aus der Ukraine leben derzeit in Polen?
Aktuell leben in Polen ca. 1,6 Millionen registrierte ukrainische Flüchtlinge. Seit dem Beginn des russischen Großangriffes am 24. Februar 2022 bis heute haben rund 12 Mio. Flüchtlinge die ukrainisch-polnische Grenze überquert. Die täglichen Flucht- und Rückkehrbewegungen sind weiterhin sehr hoch. 87 Prozent der Flüchtlinge sind Frauen und Kinder. Männer zwischen 18 und 60 Jahren dürfen aufgrund der seit dem russischen Angriff geltenden allgemeinen Wehrpflicht nicht aus der Ukraine ausreisen. Für diese Alterskategorie sind jedoch Ausnahmeregelungen vorgesehen, unter anderem für Väter von mehr als drei Kindern. Es ist wichtig hinzuzufügen, dass bereits seit dem Beginn des Krieges im Donbass 2014 bis zum 24. Februar 2022 über eine Mio. Ukrainerinnen und Ukrainer nach Polen gekommen sind. Daher halten sich in Polen heute insgesamt fast drei Mio. Menschen aus der Ukraine auf. Die ukrainische Sprache hört man sehr oft in Polen, insbesondere in den großen Städten, wo die meisten Ukrainer:innen hingezogen sind. Von den in Polen lebenden ukrainischen Staatsbürgern verfügen 360000 über eine gültige befristete Aufenthaltsgenehmigung und über 65000 besitzen eine unbeschränkte Aufenthaltserlaubnis.

Wie gestaltet sich die Integration in die polnische Gesellschaft?
Am 12. März 2022 wurde das Gesetz zur Unterstützung ukrainischer Bürger im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine verabschiedet. Es sieht unter anderem Beihilfen des polnischen Staates für Einrichtungen vor, die Flüchtlingen Wohnungen zur Verfügung stellen. Gleichzeitig erleichterte das Gesetz die Legalisierung des Aufenthaltsstatus von ukrainischen Flüchtlingen. So ist auch der Zugang zum Arbeitsmarkt, Bildungssystem, der Gesundheitsfürsorge und den Sozialleistungen geregelt. Flüchtlinge aus der Ukraine können eine polnische Sozialversicherungsnummer (PESEL) beantragen, welche die Nutzung öffentlicher Dienstleistungen wie medizinische Versorgung, Sozial- und Familienleistungen ermöglicht. Dank der Eingliederung ins polnische Sozialsystem können ukrainische Geflüchtete auch ohne allzu große Hürden die hiesigen Schulen besuchen, eine Arbeitsstelle annehmen oder ein Unternehmen gründen. Die Aufenthaltsgenehmigungen für Flüchtlinge aus der Ukraine wurden vorerst bis zum 4. März 2024 verlängert. Für Schüler und Studierende gilt ein Aufenthaltsrecht bis zum 31. August oder 30. September 2024.

Was sind die Schwerpunkte der Diakonie Polen in der Flüchtlingsarbeit?
Wir engagieren uns in über 100 Hilfsprojekten für Flüchtlinge aus der Ukraine. Dabei kooperieren wir mit Diakonie Katastrophenhilfe, dem humanitären Hilfswerk der Evangelischen Kirchen in Deutschland. Zu unserem Partnernetzwerk gehören weitere Organisationen im In- und Ausland, unter anderem das Institut G2W, sowie evangelische Kirchengemeinden in Polen. Einer unserer Hauptschwerpunkte ist die Unterstützung von rund 70 Kirchgemeinden und Institutionen, die bereits ukrainische Flüchtlinge beherbergen oder weitere aufnehmen wollen. Dadurch können sie ihre Räumlichkeiten für die Aufnahme von Flüchtlingen anpassen (70 Projekte) und Integrationsprogramme durchführen (40 Projekte). Zudem haben wir ein Bargeld-Hilfsprogramm entwickelt, über das die Diakonie Polen im Sommer 2022 fast 20000 Bedürftigen drei Monate lang finanzielle Unterstützung gewähren konnte. Von diesen erhielten später über 16000 zusätzlich eine einmalige Winterbeihilfe. Im März 2023 konnte die nächste Phase des Programms lanciert werden, so dass ca. 6700 weitere Bedürftige drei Monate lang finanzielle Unterstützung erhalten.

Wir leisten auch gezielte Unterstützung für Integrationsprogramme. So hat Diakonie Polen beispielsweise Sprachkurse, Freizeitangebote in den Sommerferien und regionale Aktivitäten für Geflüchtete mitfinanziert. Außerdem haben wir bisher 15 Bustransporte von Flüchtlingen aus der Ukraine nach Polen sowie deren teilweisen Weitertransport in EU-Nachbarländer organisiert. Die Entsendung von Transporten mit Sachspenden zu verschiedenen Aufenthaltsorten von Flüchtlingen bildet einen weiteren Schwerpunkt. In diesem Bereich kooperieren wir regelmäßig mit dem staatlichen Aufnahmezentrum in Nadarzyn bei Warschau.

Organisieren Sie auch weiterhin Hilfstransporte in die Ukraine?
Ja, wir arbeiten dabei mit der evangelisch-lutherischen Gemeinde in Charkiv unter der Leitung von Bischof Pavlo Schwarz (Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche in der Ukraine) zusammen. Gemeinsam mit unseren Partnern organisierten wir vier Transporte mit Hilfsgütern. Diese brachten hauptsächlich Lebensmittel, aber auch Wasch- und Desinfektionsmittel, Spielzeug für Kinder sowie Verbandstoffe und Geräte für die medizinische Rehabilitation in die Stadt. Als im vergangenen Herbst und Winter wegen des Beschusses von Elektrizitätswerken mehrfach der Strom ausfiel, lieferten wir mit einem Transport auch 4000 Kerzen.

Was sind derzeit die dringendsten Bedürfnisse der Flüchtlinge in Polen?
Am Anfang der Krise ging es vor allem darum, den ukrainischen Flüchtlingen eine Unterkunft zur Verfügung zu stellen. Diakonie Polen unterstützt in allen Landesteilen evangelische Kirchgemeinden, die Flüchtlinge aufgenommen haben. Aber auch mit dem Aufnahmezentrum in Nadarzyn arbeiten wir von Beginn an eng zusammen. Dieses war bis zum Kriegsbeginn ein EXPO-Zentrum am Stadtrand von Warschau. Innerhalb kürzester Zeit musste es umgerüstet werden und kann nun 9000 Menschen beherbergen. Zum Hintergrund muss man wissen, dass Polen bis zum vergangenen Jahr keine Aufnahmezentren kannte. Daher wurden die meisten ukrainischen Flüchtlinge durch Privatpersonen in ihren oft kleinen Wohnungen untergebracht. Der polnische Staat gewährte den Unterbringenden anfangs auf Antrag pro Tag und aufgenommene Person 40 Zloty (ca. 8,50 Euro). Doch das staatliche Programm lief nach drei Monaten aus. Seither liegt für die privat aufgenommenen Flüchtlinge die Verantwortung für das Auskommen ganz bei ihnen und ihren Gastgebern. Eine weitere Herausforderung für die Flüchtlinge ist es Arbeit zu finden. Polnische Sprachkenntnisse erleichtern dies natürlich. Deshalb finanzieren wir Polnisch-Sprachkurse. Auch Integrationstreffen, Berufskurse und psychologische Betreuung, die wir unterstützen, sind für die Flüchtlinge eminent wichtig.

Gibt es spezielle Förderprogramme für die Flüchtlingskinder?
Mit Beginn der russischen Großinvasion stieg die Zahl der jungen Flüchtlinge exponentiell an. Seit einigen Monaten ist sie nun stabil. Laut aktuellen Schätzungen leben ca. 800000 ukrainische Flüchtlingskinder in Polen, von denen 600000 über Online-Unterricht an ukrainischen Schulen lernen. Rund 200000 ukrainische Kinder und Jugendliche besuchen derzeit polnische Schulen und Kindergärten. Wir unterstützen die Kinder und ihre Eltern bei der Schulvorbereitung, Aufgabenhilfe oder außerschulischen Betreuung. Zudem koordinieren und finanzieren wir Freizeitangebote für die Kinder. Die meisten ukrainischen Familien sind nur mit dem Allernötigsten nach Polen geflohen. Das heißt, vielfach konnten sie sich Schulmaterialien, Computer oder Tablets nicht leisten. Dies gilt insbesondere für hunderte ukrainische Waisenkinder, die mit Bussen aus dem Kriegsgebiet in verschiedene Regionen Polens evakuiert wurden. Daher haben wir in vielen Fällen Zuschüsse gewährt, damit die Kinder hier mit dem Unterricht fortfahren können. Für Kinder mit Kriegstraumata oder anderen schwierigen Erfahrungen organisiert Diakonie Polen zusammen mit ihren Partnern psychologische Hilfe.

Wie sehen die Pläne von Diakonie Polen für die nächste Zukunft aus?
Wir planen, in verschiedenen Kirchgemeinden Tagesstätten einzurichten, in denen Flüchtlinge unter anderem professionelle rechtliche und psychologische Beratung erhalten können. Zudem soll hier auch Hilfe bei der Wohnungssuche und beim Erlernen der polnischen Sprache angeboten werden. An Orten, wo die Räumlichkeiten und die Anzahl Helfer es zulassen, möchten wir auch die Gründung von Kindertagesstätten unterstützen, damit die Mütter ihre Kinder während ihrer Arbeitszeit betreuen lassen können. Es sollen sowohl ukrainische Flüchtlinge als auch polnische Mitarbeitende beschäftigt werden, darunter ausgebildete Psychologen, Anwälte und Pädagogen.

Sie können die Flüchtlingshilfe der Diakonie Polen mit einer Spende auf das Konto von Forum RGOW (IBAN CH22 0900 0000 8001 51780) mit dem Vermerk „Diakonie“ unterstützen.

pdfRGOW 6/2023, S. 28-29

Bild: Diakonie Polen