Skip to main content

RGOW 2014 05-06: Umbruch in der Ukraine

RGOW 2014 05-06: Umbruch in der Ukraine

Denis Dafflon und Nicolas Hayoz:
Euromajdan: Unterschiedliche Blicke auf einen epochalen Umbruch
Die aktuellen Ereignisse in der Ukraine und der Sturz des vormaligen Präsidenten Viktor Janukovytsch sind mehr als ein bloßer Regimewechsel, sie sind eine Revolution. Getragen wurde diese Revolution von einer Bürgerbewegung, die sich nach mehr Freiheit und einem weniger korrupten Staat sehnt. Dabei steht der Euromajdan in Tradition der „Orangenen Revolution“ von 2004, deren Reformversprechen nach wie vor ausstehen.

Andriy Portnov und Tetiana Portnova:
Die Dynamik der ukrainischen „Eurorevolution“
Die Protestaktionen auf dem Kiewer Majdan gegen die Nichtunterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens haben sich schnell zu einer Massenbewegung gegen die Regierung Janukovytsch ausgeweitet. Das anfängliche unentschlossene Vorgehen der Oppositionspolitiker vermochte den Majdan nicht zu überzeugen. Der Tod von dutzenden Demonstranten bei den gewaltsamen Auseinandersetzungen im Februar führte schließlich zum Sturz des Regimes Janukovytsch.

Olexiy Haran und Petro Burkovskiy: Vor und nach dem Maidan: europäische und pro-russische Haltungen
Laut Meinungsumfragen vor dem Euromajdan gab es keinen Anlass, den Zusammenhalt der Ukraine in Frage zu stellen. Die Demonstrationen gegen die Nichtunterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens, die russische Propaganda und die zunehmende Kompromisslosigkeit der nach Westeuropa oder nach Russland ausgerichteten Akteure haben die Gräben zwischen westlichen und östlichen Landesteilen jedoch wieder vertieft. Gegenseitiges Misstrauen und ein fehlender Konsens über die weitere Vorgehensweise gefährden die Integrität der Ukraine stärker als eine russische Militärinvasion.

Anton Shekhovtsov: Die ukrainische radikale Rechte vor und nach der Revolution
Obwohl eigentlich antiliberal und EU-feindlich eingestellt, hat auch die ukrainische radikale Rechte – die Partei Svoboda und der Rechte Sektor – an den pro-europäischen Demonstrationen auf dem Majdan mitgewirkt. Denn Russland stellt aus ihrer Sicht ein noch größeres Feindbild als die EU dar. Trotz ihrer augenscheinlichen Rolle auf dem Euromajdan hat die radikale Rechte bei den Präsidentschaftswahlen am 25. Mai kaum Stimmen gewinnen können, allerdings ist mit ihr als politischer Kraft nach wie vor zu rechnen.

Yuriy Shveda: Die „Revolution der Würde“ im Kontext von Sozialtheorien der Revolution
Die katastrophale wirtschaftliche und soziale Situation der Ukraine sowie das Beschneiden demokratischer Freiheiten haben wesentlich zur Revolution des Euromajdan beigetragen. Die Unfähigkeit der Politiker, das Land zu reformieren, hat zu einer wachsenden Unzufriedenheit der Bevölkerung, vor allem unter den Jugendlichen, geführt. Die Jugend fordert eine neue Politik, die sich grundlegend von den alten sowjetischen und oligarchischen Strukturen unterscheidet.

Oleksandr Fisun und Anton Avksentiev: Der Euromajdan in der Südost-Ukraine
In Charkiv und anderen südöstlichen Großstädten der Ukraine haben die Proteste der städtischen Intelligenz unter anderen Bedingungen stattgefunden als in Kiew. Neben den Schikanen der Behörden und der negativen Medienberichterstattung stießen sie auch bei einer Mehrheit der Bevölkerung auf Unverständnis. Die Integration dieser Makroregion in eine einheitliche Ukraine kann nur auf der Grundlage einer staatsbürgerlichen Identität gelingen.

Viktor Stepanenko: Abschied von der postsowjetischen Politik in der Ukraine
Im Gegensatz zu der „Orangenen Revolution“ von 2004 ist die aktuelle ukrainische Protestbewegung hauptsächlich von zivilen Akteuren initiiert und vorangetrieben worden, die Parteipolitik und politischen Institutionen eher kritisch gegenüber stehen. Mit der Schaffung einer neuen Wertesphäre hat der Majdan versucht, sich von der postsowjetischen Politik abzunabeln. Aufgabe der neuen Regierung wird es sein, die Forderungen des Majdan umzusetzen, um so zu einem richtigen Neuanfang beizutragen. 

Mykola Riabchuk und Andrej N. Lushnycky: Der dritte Versuch der Ukraine
Der Majdan lässt sich als dritter Versuch nach der Unabhängigkeit von 1991 und der Orangenen Revolution von 2004 interpretieren, die postsowjetischen, autoritären Strukturen in der Ukraine zu überwinden. Die politischen Trennlinien in der Ukraine verlaufen nicht primär zwischen dem Ost- und Westteil des Landes, sondern entlang unterschiedlicher Werteorientierungen: Auf der einen Seite stehen diejenigen, die dem paternalistischen sowjetischem System nachtrauern, und auf der anderen Seite diejenigen, die sich am europäischen Westen orientieren. Wichtigste Aufgabe der Zukunft ist es, diese „beiden Ukrainen“ in den gemeinsamen Staat zu integrieren.

Yaroslav Pylynskyi: Die Ukrainische Revolution 2014: neue Herausforderungen für die Welt
Der vormalige ukrainische Präsident Viktor Janukovytsch hat gegenüber der EU und Russland eine Schaukelpolitik betrieben, um für sich und seine Gefolgschaft möglichst viel Kapital herauszuschlagen. Der Majdan war die Antwort auf sein kleptokratisches Regime. Die russische Annexion der Krim und die Destabilisierung in der Ostukraine haben die Krise in der Ukraine zusätzlich verschärft und erfordern ein standfestes Vorgehen gegenüber Russland.

Sergiy Fedunyak: Die ukrainische Revolution im internationalen Kontext
Der politische Umsturz in der Ukraine und das aggressive Auftreten Russlands haben auch Auswirkungen auf das internationale politische System. Die auf Unabhängigkeit ausgerichtete Politik der Ukraine wird von Russland mit neuen Formen einer neoimperialen Politik beantwortet. Für die westlichen Staaten und die USA bedeutet die Großmachtpolitik Russlands ebenfalls eine Herausforderung, da sie über eine neue regionale und globale Sicherheitsarchitektur nachdenken müssen.

Maryana Hnyp: Die Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche auf dem Majdan
Die Kirchen und religiösen Gemeinschaften haben eine wichtige Rolle bei den Protesten auf dem Kiewer Majdan gespielt. Die Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche (UGKK) stellte sich von Anfang an hinter die Demonstranten und kritisierte mehrfach das gewaltsame Vorgehen der Regierung Janukovytsch. Auch international drängte die UGKK auf eine Verurteilung des Regimes und des russischen Vorgehens auf der Krim.

Konstantin Sigov: Die Freiheit der Ukraine und das Licht des Majdan
Viele orthodoxe Christen der Ukraine sind über die Zurückhaltung des Moskauer Patriarchats hinsichtlich der militärischen Aggression Russlands in der Ukraine konsterniert. Gleichzeitig sind sie beseelt vom Erlebnis intensiver Solidarität auf dem Majdan, die sich am besten mit dem christlichen Begriff der koinonia beschreiben oder mit der polnischen Solidarność vergleichen lässt. Aus Sicht des Autors ist die Erfahrung des Kiewer Majdan ein Vorbild für Europa, aufrichtig für seine Werte einzustehen.